ID 5urfsi
Jojo entdeckte sie zuerst. Kein Wunder, da nur er den Mann kannte, der über einer Grube kniete und sich nicht zu rühren wagte. Drei Schritte entfernt, im Schatten einer riesigen Steinplatte mit mehreren Inschriften, stand Selina. Der Revolver wirkte wie eine Kanone in ihren schmalen Händen.
Vorsichtig trat Jojo näher heran, sodass er einen Blick in die Grube werfen konnte. Erschrocken wich er zurück. Hermann Goldig sah gar nicht mehr goldig aus.
Jojo sah sich um und entdeckte Lange, der in diesem Augenblick vom Hauptweg aus zu ihm herüber sah. Jojo winkte ihn heran. Totenstille lag beklemmend über dem Areal. Und natürlich fing es in diesem Moment auch an zu regnen.
"Selina. Selina!" Erst der energische Ton weckte Selina aus ihrer Konzentration auf Franz Brecht. Sie sah zu Jojo hinüber, neben dem sich soeben der kleine Polizist aufgestellt hatte. Unschlüssig hielt sie noch immer den Revolver auf Brecht gerichtet; wusste nicht, ob der Bulle Franz endlich festnehmen würde.
Lange hatte sich erst einmal einen Überblick geschafft, bevor er zur Tat schritt.
"In dem Loch liegt Ihr Chef?" fragte er Jojo und zeigte auf Franz Brecht.
"Und das ist...?"
"Franz Brecht, unser Betriebsratsvorsitzender", murmelte Jojo.
"Und außerdem Goldig sein Mörder", kreischte Selina plötzlich los und fuchtelte nervös mit der Waffe herum.
"Gemach, Junge Frau", rief Lange, "nehmen Sie bitte die Waffe herunter."
Karin, von den Stimmen angelockt, stand nur ein Schritt von Selina entfernt, als diese den Revolver senkte. Karin griff augenblicklich zu und sorgte somit dafür, dass Selina endlich ihre schreckliche Angst und die damit verbundene Anspannung abwerfen konnte. Weinend sank sie auf die Knie.
Nachdem Franz Brecht noch auf dem Friedhof die Tat gestanden hatte, war der Mörder von einer von Karin herbeigerufenen Streife zum Präsidium abtransportiert und eingesperrt worden. Als er Karin und Lange sein Motiv genannt hatte, waren diese wortlos zum Verlagsgebäude zurückgegangen, wohin sie Jojo und Selina vorab schon hingeschickt hatten.
Die gesamte Belegschaft wartete bereits in Jojos Büro. Niemand sagte etwas; alle glotzten sie irgendwohin, nur nicht zu den Kollegen oder Polizisten.
Lange sortierte noch einmal seine Gedanken, dann erklärte er in wenigen Worten den Stand der Dinge: "Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen ganz schnell den uns bis jetzt bekannten Sachverhalt darstellen, damit meine Kollegin und ich dann schleunigst ins Polizeipräsidium fahren können, wo noch eine Menge Arbeit auf uns wartet. Es war Frau Neumann, die heute Morgen als einzige Ihren Chef tot in der Postkiste gesehen hatte. Franz Brecht, der Goldig eine halbe Stunde zuvor im Affekt erschossen hatte, brachte Goldig seine Leiche mit einem von Pappe umschlossenen Rollwagen zu dem nahe gelegenen Jüdischen Friedhof, um ihn dort in einer von ihm vorbereiteten Grube zu vergraben. Frau Neumann, die von mir etwas hart angegangen worden war, wofür ich um Verzeihung bitte, war natürlich bestrebt zu beweisen, dass es den von ihr entdeckten Toten wirklich gab. Also durchwühlte sie sämtliche Kisten noch einmal und fand den Revolver, von dem sie wusste, dass er Franz Brecht gehörte. Wieso unsere Spurensucher die Waffe nicht gefunden haben, werden die mir auch noch erklären dürfen. Da freue ich mich jetzt schon drauf, wie Sie Sich vorstellen können." Das folgende Gelächter sorgte für eine erste Entspannung unter der Belegschaft. Danach hörte man sofort wieder gespannt zu.
"Frau Neumann also, klug, wie sie nun einmal ist - eine Verbeugung Langes in Selinas Richtung wurde mit einem Lächeln quittiert - kombinierte richtig und sah sofort in Brechts Büro nach. Als sie den Verdächtigen nicht vorfand, sah sie eher zufällig aus dem Fenster und Franz Brecht mit einem blickgeschützten Rollwagen in Richtung Friedhof davon schieben. Sie nahm sofort die Verfolgung auf, ohne uns, die anwesende Polizei, zu verständigen, wofür ich sie bereits gerügt habe."
Selinas um Abbitte erhobenen Hände wurden von Lange mit einem Lächeln quittiert, bevor er fortfuhr: " Auf dem Friedhof stellte sie Franz Brecht und hatte dann Glück, dass meine Kollegin sie, einem Instinkt folgend, in diesem Moment anrief. Den Rest der Geschichte hat Ihnen bestimmt schon Herr Martinius erzählt." Ein allgemeines Nicken bestätigte dieses.
Ariane, die bis hierhin ausschließlich Jojo angesehen hatte, stellte die Frage: "Was hat Franz denn nun gesagt, warum er Goldig erschossen hat?"
"Tja", sagte Lange nach einer spannungsaufbauenden Pause. Noch einmal räusperte er sich: "Herr Brecht hatte Ihrem Chef dabei ertappt, wie dieser mit dem Anwalt der Firma über die Möglichkeit einer Arbeitszeiterhöhung sprach. Daraufhin von Brecht zur Rede gestellt, hatte Goldig ihm mit fristloser Entlassung gedroht, wenn er dieses Gespräch weiter erzählen würde. Ich weiß es noch nicht, vermute es aber, dass damit ein Fass an Frustrationen übergelaufen und Brecht schlichtweg durchgedreht ist."
"Aber", meldete sich einer der Angestellten schüchtern, "Brecht war doch als Betriebsratsvorsitzender unkündbar."
"Ich sagte ja bereits", antwortete Lange müde: "Der Mann ist durchgedreht. Das Maß war einfach voll."
ID 5urfsi, 170 months ago
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"Ich kann es immer noch nicht glauben, das er zu sowas fähig war" sagte Ariane zu Jojo. "Ich auch nicht,…
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