ID p5ni8x
Meine Beerdigung war irgendwie seltsam. Ich meine, da stand meine ganze Familie, meine Freunde, sogar meine Lehrer und ein paar Verwandte, die ich kaum kannte, und weinten sich die Augen aus dem Kopf. Der Pfarrer murmelte etwas davon, wie tragisch und viel zu früh ich aus dem Leben gerissen wurde, und ich stand mitten unter ihnen. Naja, eben nicht richtig, weil sie mich ja nicht mehr sehen konnten, aber ich sah sie alle und fragte mich, was da wohl in meinem Sarg liegt, wenn ich hier stehe, als mir mal wieder auffiel, dass ich ja keinen Körper mehr habe.
Wie mir das aufgefallen ist? Ich wollte meine Schwester schubbsen, fiel aber glatt durch sie hindurch. Ich muss mir echt noch einfallen lassen, wie ich mich besser bemerkbar machen kann. Korrigiere: Wie ich mich überhaupt bemerkbar machen kann, denn anders werde ich ja wohl kaum dafür sorgen können, dass sie alle bekommen, was sie verdienen!
Also, drei Tage nach meiner Beerdigung stöberte ich lustlos bei uns zuhause herum. Es ist echt ätzend, wenn man zusehen muss, wie die eigene Schwester in deinen Sachen herumwühlt und du nichts dagegen tun kannst! Dabei futterte sie auch noch meine Jelly Beans auf, die meine beste Freundin Lilly mir aus Amerika mitgebracht hatte. Klar gibt es die hier auch überall, aber nicht in der Auswahl und schon gar nicht so günstig! Ich hatte glatt ein Kilo von den Dingern bekommen und war sehr sparsam damit. Am liebsten mochte ich Lakritz mit Melone, klingt abartig, aber ihr solltet das echt mal versuchen!
Dann kam auch noch der bekloppte Freund meiner Schwester in mein Zimmer, und gemeinsam guckten sie meinen Wäscheschrank durch. Hallo, gehts noch?! Das sind meine Unterhosen, die gehen euch gar nichts an! Der blöde Typ kicherte die ganze Zeit, und ich vermute schwer, dass meine Schwester ihn noch nicht an ihre Wäsche gelassen hat. Erstaunlich, wenn ich bedenke, was Julie sonst alles mit den Typen machte. Nee, daran will ich nicht mal denken, davon wird mir sogar im Jenseits schlecht!
Tja, und dann kam Mam nach Hause und rief nach Julie, woraufhin sie und der Typ ganz schnell mein Zimmer verließen. Wurde ja auch Zeit!
Mam sah richtig fertig aus, und ich begriff, dass das wohl mit meinem Tod zu tun hatte. So ganz hatte ich mich noch nicht daran gewöhnt, dass ich nicht mehr lebte, Mam aber ganz sicher auch nicht.
"Julie, kannst du bitte das Abendbrot machen? Ich fühle mich nicht gut."
"Muss das sein?", maulte meine Schwester. Fehlte nur noch, dass sie "nur, weil Anna tot ist, muss ich jetzt alles machen" hinzufügte. Blöde Kuh, du bist schließlich Schuld daran!
Mam warf ihr einen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete, und sie fügte sich maulend. Mein Dad kam wie immer nicht zum Essen, und ich wurde neugierig. Ein Vorteil vom Totsein ist, dass man sich extrem schnell bewegen kann. Ich musste nur "Papas Büro" denken und war schon da. Aber das, was er dort machte, würde ich nicht unbedingt als Arbeit bezeichnen.
ID p5ni8x, 171 months ago
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Comments
Ist super geschrieben und sehr interessant. ich hab auch mal so eine Art von Geschichte angefangen. Vielleicht schreib ich da mal weiter ^^ Freu mich schon auf die Fortsetzung.