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Back All (3)

Am nächsten Morgen wurde Yoni sehr früh wach. Es war noch dunkel, und ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Tondis lag noch immer warm und weich neben ihr, war aber ebenfalls wach und starrte in die Dunkelheit. Dann endlich sah sie es auch: Jemand saß neben ihrem Bett. Bevor sie einen Laut von sich geben konnte, legte der Fremde einen Finger an die Lippen.
"Sch, weck deine Familie nicht. Willst du wissen, wer ich bin, woher ich komme und was uns beide verbindet? Dann pack schnell ein paar Sachen zusammen, zieh dich an und komm mit. Wenn du jedoch Angst hast, die Sicherheit deiner Heimat zu verlassen, dann folge mir nicht und belasse alles beim Alten. Es ist deine Entscheidung." Und so lautlos, wie er gekommen war, verschwand er wieder. Yoni sah Tondis fragend an, und sein Blick schien zu fragen, worauf sie noch warte. Schnell zog sie sich an, nahm einen weichen Beutel, in den sie warme Kleidung legte, dann ging sie in die Küche, nahm einen Laib Brot und einen Beutel getrocknete Früchte sowie einen Lederschlauch mit frischem Brunnenwasser. Noch einmal drehte sie sich um und überlegte kurz, wie ihre Eltern ihr Verschwinden auffassen würden, doch dann nahm sie Tondis in den Arm, band sich den Beutel auf den Rücken und verließ die Hütte.
Draußen war es noch immer Nacht, ganz zaghaft bahnte sich die Dämmerung ihren Weg, doch es würde noch eine ganze Weile dauern, bis es so hell war, dass ihre Familie aufstand. Dennoch war ihr bewusst, dass sie Zaleb schon Stunden, bevor er sie erreicht hatte, sehen konnte, und sie wusste nicht, wieso ihre Familie sie nicht bei ihrer Flucht beobachten sollte. War es eine Flucht? Sie wusste es nicht, genauso wenig, wie sie wusste, ob ihr Vater sie zurückholen würde.
"Komm, hier entlang," sagte Zaleb mit seiner warmen Stimme und wies mit der Hand auf einen schmalen Pfad, der nur selten benutzt wurde.
"Wohin führt er?", fragte Yoni, denn sie war noch nie bis ans Ende des Weges gegangen.
"Dorthin, wo du Antworten auf deine Fragen erhältst."
Bis weit nach Sonnenaufgang wanderten sie schweigend, aber Yoni hatte schnell begriffen, dass der Pfad sich aus dem Blickfeld des heimatlichen Hofes entfernte und sie so in einer relativen Sicherheit dem Ungewissen entgegen gingen. Tondis war bald von ihrem Arm gesprungen und lief auf seinen Pfoten mal vor, mal querfeldein, jagte Insekten und fraß ein paar Beeren am Wegesrand. Yoni musste unweigerlich lachen, als sie ihn beobachtete, wie immer waren nicht alle seine Schritte elegant, sondern eher von einer Tollpatschigkeit, die Yonis Herz weit werden ließ. Sie liebte dieses kleine Wesen mehr als alle ihre Familienmitglieder, und sie konnte sich unmöglich vorstellen, was sie vor seiner Ankunft ohne ihn gemacht hatte.
Tondis lag eines Tages schwer verletzt in den Feldern, und sie nahm ihn mit nach Hause, um ihn zu pflegen. Niemals zuvor hatte sie ein solches Tier gesehen, und ihr Vater billigte nicht, dass sie das kleine Wesen behielt, musste sich jedoch fügen, da Tondis nicht mehr von Yonis Seite wich.
"Von jenseits der Nebel kommt niemals etwas Gutes, sei vorsichtig mit ihm", warnte ihr Vater und sprach danach nie wieder über Tondis.
Gegen Mittag erreichten Zaleb und Yoni einen kleinen Wald in der sonst kargen Landschaft, und Zaleb deutete auf einen wunderschönen großen Baum.
"Lass uns in seinem Schatten rasten, der Weg wird noch beschwerlich genug."
Noch schwerer? Wollte Yoni fragen, biss sich aber auf die Zunge. Sie wollte nicht wie ein kleines, schwächliches Mädchen wirken, immerhin war sie sechszehn Sommer alt und fast eine Frau.
Sie riss ein Stück des Brotes ab, nahm ein paar der getrockneten Früchte und kaute genüsslich.
"Wohin gehen wir?", fragte sie schließlich zwischen zwei Schlucken aus ihrer Flasche, und Zaleb lächelte.
"Dorthin, wohin du schon immer wolltest. Hinter die Nebel."
"Wie geht das? Und was ist dort? Ist es gefährlich, durch den Nebel zu gehen?"
"Nur, wenn man es nicht weiß."
Yoni fand die Antwort nicht befriedigend, bohrte aber nicht nach. Früher oder später würde sie es erleben, und sie fühlte, dass Zaleb ihr nichts Böses wollte. Fürs Erste genügte ihr dies.

ID c2e79c, chaosqueenchaosqueenRank 1, Activity: 0%, Views: 1100, Chars: 4136, 171 months ago

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