ID 59okqb
Ihr Kopf bewegte sich bereits nach rechts, doch dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf und zwang sich, wieder auf ihr voll gekritzeltes Blatt zu starren. Was kümmerte es sie, was die anderen dachten? Wieso wollte sie die Feindseligkeit, die in ihren Blicken lag, körperlich spüren und im Geiste hören? Das brauchte sie sich nun wirklich nicht auch noch anzutun. Reichte ja schon, dass der Lehrer sie als Freak abgestempelt hatte, auch wenn er sie gerade irgendwie gelobt hatte...Aber das half ihr auch nicht gerade viel.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die Stunde endlich aus war. Die Schüler stürmten alle gleichzeitig nach draußen und Linda wartete, bis sie alle verschwunden waren, erst dann schulterte sie ihre Tasche und ging auf die Tür zu.
"Wartest du noch bitte einen Moment, Linda?", ertönte eine Stimme hinter ihr und sie drehte sich erschrocken um. Der Lehrer - wie hieß er denn noch gleich?! - packte immer noch seine Sachen zusammen und blickte auf. Rasch senkte sie den Blick und biss sich auf die Lippe. Sie wollte seine Gedanken kein zweites Mal hören.
"Du bist neu hier, oder?", fragte er und trat neben sie. Sie widerstand dem Drang, ihn anzuschauen und nickte nur stumm. Dann hörte sie ein amüsiertes Lachen und aus reiner Neugierde hob sie den Kopf. Er war ungefähr nur einen Kopf größer als Linda selbst und bei seinem Lachen verengten sich die blauen Augen zu kleinen Schlitzen. Grübchen bildeten sich in seinen Wangen.
"Trifft sich gut. Ich auch. Ich habe fast meine erste Stunde hier verpasst, weil ich nach einem Klassenzimmer suchen musste. Diese Pläne sind ja auch nicht gerade hilfreich", plauderte er munter drauf los und ging vor ihr aus der Tür. Sie starrte auf seinen Rücken und fragte sich, was er eigentlich von ihr wollte. Ein unangenehmes Kribbeln ergriff von ihr Besitz und sie verzog das Gesicht. Irgendwie war er ihr unheimlich.
Stumm folgte sie ihm nach draußen und wandte sich nach rechts. "Mein Klassenzimmer liegt hier drüben", sagte sie, ohne ihn anzusehen, und deutete mit dem Daumen über die Schulter, als wäre das eine Entschuldigung, dass sie ihn nicht begleiten könne, wie er es vielleicht von ihr erwartet hatte.
Komischer Lehrer, dachte sie.
"Oh, ok. Wir sehen uns dann später."
"Ja."
Sie wartete einen Moment, dann schaute sie auf. Er stand noch immer vor ihr und blickte sie nachdenklich an. Ein Stich der Überraschung durchfuhr sie und es war, als würden seine blauen Augen sie regelrecht festhalten.
Zu ihrer eigenen Überraschung kam noch Neugierde hinzu, die nich von ihr stammte.
"Wieso schaut sie einen nie an? Ist sie etwa derart schüchtern? Aber sie ist doch ein nettes Mädchen, oder nicht? Trotzdem ein wenig komisch..."
Rasch riss sie sich von seinem Blick los und es blieb nur Leere in ihr zurück.
"Ich geh dann mal", sagte sie mit monotoner Stimme und wandte sich um. Sie konnte beinahe körperlich den Blick in ihrem Nacken spüren, was sie nur dazu brachte, noch schneller zu laufen, bis sie fast rannte. Als sie im angrenzenden Klassenzimmer angekommen war, atmete sie erleichtert auf.
Sie würde vorsichtiger sein müssen. Sie wollte von ihren Fähigkeiten so wenig wie möglich Gebrauch machen.
Sie wollte normal sein, wie all die anderen Mädchen in ihrem Alter auch.
Von ganzem Herzen.
ID 59okqb, 170 months ago
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Comments
Gut weiter geschrieben. =)
Würde mich freuen, wenn du mal eine meiner Splitstories weiterführen würdest.
Ich überlege jetzt mal, wie es weitergehen könnte....
Liebe Grüße,
Gecko