Akai Akari und ihr Dämon
Prolog:
Es ist dieses unbekannte Gefühl in deinem Nacken, welches dich nicht einschlafen lässt. Du liegst in deinem Bett, starrst an die Decke und alles ist verschwommen, ein verzerrtes Bild klebt vor deinen Augen und rinnt wie ein farbiger Tropfen neben dir vorbei. Egal, wie du dich windest oder drehst, das Gemälde der verstaubten Erinnerung lässt dich nicht in Ruhe, es saugt sich an dein Gewissen, welches du nicht mehr abschütteln kannst. Du kennst die Gestalt nicht, die sich auf dieses Bild zeichnet und doch fühlst du dich schuldig, ihr etwas Schlimmes angetan zu haben. Der feuchte Regenwind bläht den Vorhang deines Fensters auf, sodass du tief durchatmest, deine Hände gegen die Augäpfel presst und darauf hoffst, es ginge vorbei. Alleine, wie der Mond, der schief am dunkelblauen Horizont erhängt wurde, schmeißt du wütend die Decke von dir, ziehst dir deine Schuhe an und marschierst mit deinem Nachtgewand auf die schattigen Gassen. Gedankenverloren bewegst du deine Füße Schritt für Schritt weit weg von der sicheren Stadt, hinein in Wald. Die dürren Geäste der Eichen bemerkst du erst, als plötzlich kein Licht mehr ward, und die gefallenen Blätter sich wie Engel um deine Knöchel legten. Vor dir stand ein Mädchen, Augen, so rubinrot wie das blutige Loch in ihrer Brust. Sie hat sich zu einer weißen Schlange runtergebeugt, welche scheinheilig nun auf ihre Hand kroch und auf ihrem schwarzen Schirm mit Diesen eins wurde. Das Blut, das der Schlange aus dem Mund tropfte, schmückte sie nun mit einer roten Blume. Das Mädchen schließt ihre Lider und richtet sich langsam auf. Sie starrt dich eiskalt an, doch erkennst du einen schimmernden Glanz unter ihren Augen.
- "Was willst du hier, Fremder?"
Leicht verängstigt erkennst du, dass dieses Mädchen die nebelige Person deines Nachtmahrgemäldes ist und gehst ein paar Schritte rückwärts. Deine Angst kann sie riechen, züngelt dich mit einem sadistischen, frechen Grinsen an und legt mit aufgerissenen Augen den Kopf schief. Dabei dreht sie ihren Schirm, schleudert ihn kurz in die Luft, um ihn anschließend mit ihren langen Fingern am Griff aufzufangen. Sie richtet die Spitze ihrer Waffe auf dich und du schluckst, denn du weißt, dass diese Fremde dein Lebenslicht erlischen lassen kann. Ihr Blick war wieder eisige Wüste, ihre Iris färbt sich immer rötlicher und nimmt den gesamten Platz ihrer Augen ein, die Pupille ist lediglich nur mehr ein dünner Schlitz. Du stürzt los, doch kommst nicht weit, da eine Eichenwurzel scheinbar ihre Quelle hebt, um dich stürzen zu sehen. Der Baum weint rotes Menschengut, und ehe du dich versiehst, steht das Mädchen mit dem Schirm wieder vor dir. Ihre Lippen sind zusammengepresst, der Schirm immer noch aufgespannt und der Kopf der Schlange löst sich, um dich lüstern an zu zischen. Erschrocken siehst du sie an, wie schwer sie sich eigentlich tut, dir wehtun zu wollen. Trotzdem holt sie mit ihrem weißen Gefährten aus und streift deinen Arm.
- "Du sollst verschont bleiben, Fremder. Wehe, ein Wort löst sich von deinem Munde, so schwör ich dir, wirst du an dem bitteren Gift deines Wahnsinns sterben...Langsam und qualvoll"...
Hastig zieht die Kleine mit den aalglatten Haaren ihre Schlange zurück, legt ihn sich über die Schulter, wie einen gewöhnlichen Schirm und schreitet mit eiligen Schritten davon. Du verlierst die Sicht und kippst langsam um.
Als du nach Stunden wieder zu dir kommst, liegst du schweißgebadet in deinem Bett und denkst dir, das dies nur ein schlimmer Streich deiner selbst gewesen ist. Die zwei Einkerbungen an deinem Oberarm hast du erst später bemerkt...
Yoshida Sawaemon Kanesada war Ronin. Ronin durch Ungnade. Dieses häßliche Wort würgte sich jeden Morgen, wie ein gefressiger Parasit durch seine Gedanken. Ungnade. In zweierlei Hinsicht. Zum Ersten weil er seinem Daimyo nicht ordnungsgemäß dienen, konnte und Zweitens weil er dem ihm nahegelegten Seppuku nicht folge geleistet hatte.
Als wären die schmerzverzehrten Gesichter der Todesangst, welche ihn jede Nacht verfolgten nicht schon Geißelung genug . Yoshida wünschte sich innigst zu sterben, den Tod zu umarmen wie eine lange vermisste Tochter.
Doch er fand nicht den Mut um sich selbst das Leben zu nehmen. Niedergeschlagen und mit einem Gefühl als hätte er die ganze Nacht dem Reiswein gefröhnt, entstieg der ehemalige Samurai seinen schmutzigen Bettlaken und quälte sich vor die Bambusholzhütte, um sich an dem moosbewachsenen Brunnen, den letzten Rest Schlaf aus dem Gesicht zu waschen.
Gläsernen Schrapnellen gleich, sprengten die Wassertropfen aus seinem Gesicht und Yoshida atmete die harzige Waldluft ein. Etwas war anders. In seinen besten Tagen hätten seine geschärften Schlachtensinne den Unterschied sofort bemerkt, doch zulange schon versuchte er seine Nichtsnutzigkeit und sein seelisches Leid mit der Wucht des Alkohols zu betäuben. Es herrschte eine unerträgliche Grabesstille rund um ihn. Die natürliche Geräusche des Waldes, das Wandern der Insekten, das Ziehen des Windes oder die wunderbaren Klänge der Vögel waren alle stumm.
Da spürte Yoshida ihn. Duchbohrend wie ein tödlicher Stich. Ein Blick.
Erschrocken wand er sich herum und erblickte die zierliche Gestalt eines jungen Mädchens. Seine Pupillen weiteten sich, gleich aufplatzenden Bäuchen im Meer. Er erkannte sie. Sie war...
Flammen, Schreie, Blut, Blut, Hass und Wut...
Diese Augen. Yoshida erkannte sie. Erkannte das Gesicht ihrer Mutter in ihrem.
Hatte er doch eigenhändig die Mutter dieses Kindes geschändet und ihren Vater erschlagen.
Am ganzen Körper zitternd fiel er auf die Knie, unfähig zu sprechen. Das Pozellanpuppengesicht des Mädchens war eingrahmt von glatten, dunklen Haaren. >> Guten Morgen Yoshida Sawaemon Kanesada unwürdiger Ronin und Mörder meiner Erzeuger, deine lange vermisste Tochter ist heimgekehrt.<< flüsterte sie teilnahmslos und ließ ihren schwarzen Schirm zu Boden sinken. Gewand wie ein strebender Fluss, schlängelte sich ein blendend weißes Reptil von dem Stock herab und kroch durch das gefallene Herbstlaut auf Yoshida zu, welcher zitternd und weinend vor sich hin wippte. Immer noch versuchend einen Satz hervor zu stammeln.
>> Es.. Es.. tut mir so...Leid.<< kam es leise über seine bebenden Lippen.
Akai lächelte leise, den nun rot glühenden Blick zu Boden gesenkt.
>> Das wird es.<<
Die Alpinoschlange hatte Yoshida erreicht.
Ein Schrei unmenschlicher Pein hallte durch die rohrigen Bambuswälder.
Doch niemand kam Yoshida zu Hilfe.