ID nawusk
Ich hasse es, gefragt zu werden, was meine Hobbies sind. Es gibt nichts, was ich wirklich gerne mache. Wenn man mich aber fragt, was mir nicht gefällt, was ich verabscheue oder sogar hasse, weiß ich auch darauf keine Antwort. Muss man denn lieben und hassen? Vielleicht liebe ich Menschen, habe manche Leute wirklich gern. Vielleicht glaube ich das aber auch nur, weil diese Menschen immer bei mir sind. Sie sind diejenigen, die mich von Zeit zu Zeit in den Arm nehmen, die mir sagen, dass sie mich gern haben. Ich weiß nur nicht sicher, was das heißt.
Wenn ich die nicht sagen kann, was ich gerne tue, bin ich dem Verhör trotzdem nicht entkommen. Sie fragen dann weiter, wollen wissen, wie ich meine Nachmittage verbringe. Erst schweige ich lange, und dann antworte ich. Meistens liege ich auf meinem Bett, in meinem Zimmer. Das Radio läuft, ich höre aber nicht wirklich zu; ich könnte keine einzige Melodie nachsingen, obwohl Marcia sagt, dass ich eine schöne Stimme hätte, würde ich sie nur ein wenig trainieren. Aber wozu? Musik ist mir egal. Die nächste Frage ist meistens, woran ich denn denke, wenn ich dort liege. Auch darauf kann ich keine Antwort geben, zumindest keine, die die anderen zufriedenstellt. Ich sage dann, dass ich meine Gedanken einfach treiben lasse, mich erinnere und versuche in die Zukunft zu schauen, mich aber an keines der Dinge erinnern kann, die ich dort gesehen habe. Wenn ich dann noch sage, dass ich eigentlich schon über alles und nichts nachgedacht habe, ohne jemals zu einem Schluss zu kommen, und zurückfrage, ob das denn überhaupt möglich ist, sehen sie mich alle seltsam an. Ich kenne diesen Blick nur zu gut, ein wenig von der Seite, als wollten sie mir plötzlich nicht mehr in die Augen schauen, als wäre es eigentlich verboten, überhaupt in meine Richtung zu schauen. Marcia sagt, sie bemitleiden mich, vor allem, wenn ich auf die Frage hin, ob mir das denn gefällt, einfach nur mit den Schultern zucke. Auch Marcia versteht nicht, warum ich das tue. Ich habe bisher nie das Gefühl gehabt, verstanden zu werden… Außer vielleicht an dem einen Tag. Es war eine Buchmesse, ich weiß nicht mehr wo, in einer Zeit, in der ich es liebte, mir den ersten und den letzten Satz eines Buches aufzuschreiben und meinen eigenen Mittelteil zu erfinden. Die hunderte von Zetteln, die meine Fantasie gefüllt hat, sind sofort nach ihrer Entstehung im Papierkorb gelandet. Ich bin nicht geschaffen, um Schriftsteller zu sein.
Wir waren mit unserer Klasse da, und deshalb mussten wir auch zu einer Lesung gehen. Es war ein Buch, das ich erst vor kurzem in der Hand gehalten hatte, um mir die beiden Sätze herauszuschreiben – und dann sah ich die Autorin. Sie war eine dunkelhäutige Frau, groß und dick, in einem seltsamen, bunten Sackkleid. Sie hatte eine dunkle, samtige Stimme, eine Stimme, die kurz darauf einem gefesselten Publikum von fremden Welten erzählte; von Drachen und Magie, von Ehre und Familienfehden, und zwischendrin von einem Mädchen, einem Mädchen, das seinen Heimweg suchte. Sie hatte Angst in der realen Welt, Angst vor der Dunkelheit, vor engen Gassen oder dem kläffenden Nachbarshund, also schuf sie sich eine eigene Welt, um zu lernen, mutig zu sein. Ich habe mir das Buch am selben Tag gekauft und meine Mutter angefleht, es mir wieder und wieder vorzulesen. Aber mit jedem Mal, da ich die Geschichte hörte, fand ich weniger von mir selbst darin. Ich hatte Albträume, in denen riesige, dunkelhäutige Frauen mich auslachten, um dann mit einer noch riesigeren Schere einen glänzenden Faden durchzuschneiden, den ich für meine Seele hielt. Nachdem ich den Traum zum dritten Mal hatte, beschloss ich, nie wieder einen Roman anzurühren. Auch mit dem Schreiben hörte ich auf. Eigentlich war es nur ein Tag, an dem ich glaubte, eine Seelenverwandte gefunden zu haben. Es war das erste und letzte Mal. Ja, Marcia ist da, aber ich weiß nicht, was ich ihr erzählen soll. Sie lächelt dann immer, auf eine Art und Weise, die mir nur zu deutlich sagt, dass sie mich nicht versteht, auch wenn sie es noch so gern tun würde. Warum Mara sich gerade mit mir abgibt, verstehe ich nicht. Sie könnte eines der beliebtesten und begehrtesten Mädchen der Schule sein, da bin ich mir sicher. Stattdessen gibt sie sich mit mir ab. Und irgendwie macht mein Herz einen Sprung und mir wird warm, wenn ich daran denke.
ID nawusk, 171 months ago
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