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"Psychotopia... was soll das schon wieder sein? Sag mal, willst du mich verarschen?" Steve war knapp davor einen Anfall zu bekommen. Nicht wegen dem rätselhaften Fremden im Spiegel, der sein Zwillingsbruder hätte sein können. Nicht wegen dem Blut auf seinem Nachthemd, sondern weil er sich an REIN GAR NICHTS mehr erinnern konnte.
Es konnte gut möglich sein, dass er entführt wurde. Von der Mafia, von Terroristen... was weiß ich! Auf jeden fall gefällt's mir überhaut nicht, ging es ihm durch den Kopf.
"Das sollte es aber", bemerkte Stephan. Wieder mit monotoner Stimme.
"Wie hast du das gemacht? Kannst du Gedanken LESEN?" Das wurde ja immer verrückter. Er stand vor einem SPIEGEL und redete mit irgendeinem VERRÜCKTEN.
In welches schwarze Loch war er nur wieder hineingefallen. Mit Stressfalten in den Augenwinkeln und fragendem Blick blinzelte er Stephan an. Irgendwie spürte er ein unheimliches Gefühl, sobald er an das vollkommen entstellte Gesicht dachte. Als wäre er mit dem Kopf vorran ins offene Feuer gefallen, dachte sich Steve und spürte eine Gänsehaut.
Bibbernd bemerkte er jetzt erst die fernen Geräusche. Wundersame Geräusche, die ihn an eine große Stadt erinnern ließen. Was hatte Stephan gleich gesagt: "...Du befindest dich an einem Ort, den ich selbst DAS FENSTER nenne. Durch es gelangst du in meine Welt. Nach Psychotopia..."
Wenn er sich also am Ort des FENSTERS befand, wie kam er dann wieder zurück nach Hause. In sein Haus mit der Nummer 8a?
"So schnell wirst du nicht ins Haus Nr. 8a kommen", meinte Stephan. Immer noch monoton.
"Verdammt... hör auf meine Gedanken zu lesen!", schrie Steve den Mann im Spiegel an. Plötzlich musste er an das Lied: "Man in the Mirror" von Michael Jackson denken. Warum passiert immer mir so ein Scheiß?, fragte er sich und hämmerte auf den Spiegel ein.
"He... du... im Spiegel! Stephan, bring mich sofort wieder zurück!"
"Nein."
"Was heißt da: NEIN! Bring mich zurück. Was willst du von mir?" Eine jähe unheimliche Stille kam auf. Das Schwarz hatte längst seine Wörter verschluckt. Die Geräusche hingegen waren etwas lauter geworden. Jetzt konnte Steve klar und deutlich das Hupen von Autos hören. Die Rufe von Passanten. Irgendjemand pries eine Zeitung mit dem Namen: "The psycho times" an.
"Ich habe zu lange deine Unterjochung ertragen, Steve. Jetzt bin ich an der Reihe. Geh beiseite und überlass mir deinen Körper."
"Man, was redest du da für einen Scheißdreck? Mein Körper gehört mir... mir ALLEIN!"
"Wir werden sehen", flüsterte Stephan gerade laut genug, dass Steve es über das - in der Zwischenzeit angestiegene - Dröhnen der Stadtgeräusche hören konnte. Von wegen, dachte sich Steve und hämmerte erneut gegen den Spiegel. Er konnte sehen, wie Stephan und die Blutpunkte erzitterten. Konnte hören, wie ein dumpfer Ton - der stark an eine uralte Glocke erinnerte - erklang, sobald er mit seiner Fraust gegen DAS FENSTER stieß.
"Bring mich zurück, bring mich zurück, bring mich zurück...", sagte Steve in einem unaufhörlichen Singsang.
"Du bleibst hier! Ob du willst oder nicht. Endlich bist du hier, schwach genug, um gegen meine Macht nicht mehr länger anzukämpfen. Ich habe es satt von deinem Verstand ignoriert zu werden."
"Bring mich zurück, bring mich zurück, bring mich zurück..."
"SCHMERZ!", schrie Stephan und kam blitzschnell in den weißen Lichtkegel geschritten.
Es dauerte nicht einmal eine halbe Sekunde, da spürte Steve einen höllischen, alles vernichtenden Schmerz. Die Quelle waren die tiefen Löcher in seiner Brust, aus der nun dunkles - beinahe schwarzes - Blut floss und den Rest seines Nachthemds beschmuzte. Schließlich tropfte es in den gelbbraunen Sandkastensand, wo es zischend und rauchend wegschmolz.
Verdattert und mit verzerrtem Gesicht griff er sich an die Brust, versuchte das Blut aufzuhalten. Versuchte die Schmerzen zu verscheuchen, da er glaubte sie wären nur eine Illusion, hervorgerufen von Stephan.
"Hör mir zu, Steve, und hör mir GUT zu", eröffnete Stepahn mit schlagartig erwachtem Leben in der zuvor noch monotonen Stimme.
"Arrrggghhh... leck mich", presste Steve unter Schmerzen hervor. Seine Knie hatten nun angefangen so heftig zu zittern, dass man sich wunderte, wie er überhaupt noch aufrecht stehen bleiben konnte.
"Du bist ein Gefangener. Gefangen in meinem Reich. Gefangen in der Großstadt Psychotopia, in dem ich das SAGEN habe. Dort bin ich der "Bürgermeister", dort bin ich GOTT. Wenn du willst, dass die Schmerzen nachlassen, dann kämpfe nicht länger gegen die Unlogik an. Geh durch den Spiegel und überlasse mir deinen Körper." Wieder eine unangenehme Stille, in der Steve mehr als einmal einen panischen Schmerzensschrei unterdrückte. Dann brachte er zwei Wörter stötternd hervor: "Ver- vergiss ... es!"
Ein klagender Wutschrei durchdrang die Dunkelheit um ihn herum. Sie schien von überall zu kommen, doch wusste Steve, dass sie von Stephan kam. Mittlerweile stand Stephan direkt vor dem Spiegel. Drückte die Handflächen gegen das Glas und schrie seinen Zorn hinaus.
Was Steve jedoch nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass seine Schmerzen sich mit jedem Schrei ins unermessliche steigerten. Als würde man ihm die Brust - ohne Narkose - aufschneiden, während das blutige Skalpell vor seinen Augen auf und ab hüpfte.
Dieses Mal schaffte es Steve nicht aufrecht stehen zu bleiben. Er kippte hinten über, fiel auf harten Beton und wälzte sich im Staub der Straße, denn genau das war es. Eine endlos scheinende Straße.
Vielleicht zurück in MEINE Welt, dachte sich Steve und schaffte es auf wundersame Weise den Kopf zu heben. Mit unkontrollierbar zitternden Armen zog er sich vorwärts. Weg von dem Spiegel und dem darin gefangenen Stephan.
Was Steve jedoch nicht mitbekam, war der Ausdruck, der sich auf Stephans entstelltes Gesicht gestohlen hatte. Er hatte die Situation sofort erfasst.
"HALT", schrie er und wieder donnerte seine Stimme von überall her auf Steve ein, schien ihn zu zerquetschen und dann wurde das Wort von der Dunkelheit aufgesaugt. Das einzige Problem jedoch bestand nun darin, dass sich Steve nicht mehr bewegen konnte.
Stephan hatte noch genügend Macht über ihn. Schließlich war DAS FENSTER noch sein Reich. Wo die Grenze seiner Macht lag und wo Steves Eigene begann, vermochte niemand so genau zu sagen. Lediglich das Hier und Jetzt zählte. Und tatsache war, dass Steve Stephans GEFANGENER war.
"KOMM ZU MIR!" Widerstrebend richtete sich Steve unter Schmerzen auf. Zitternd und stolpernd näherte er sich dem Spiegel, wobei ein Teil seines Verstands noch immer dagegen ankämpfte.
"Es hat keinen Zweck dagegen anzukämpfen, Steve. Nimm es hin! Sei ein Mann." Steve achtete nicht auf die - nun wieder - monotone Stimme. Vom ersten Augenblick, als Steve den Fremden im Spiegel erblickt hatte, hatte er ihn gehasst. Und dieser Hass steigerte sich zunehmend.
Es war schwer zu sagen, wie lange Steve gebraucht hatte, bis er endlich vor dem FENSTER stand. Eine Stunde, zehn Minuten, einen Tag? Aber diese Gedanken um die Zeit verblassten im Nichts, als Stephan die roten Leuchtpunkte von der Oberfläche des Spiegels wischte.
Augenblicklich schwanden Steves Schmerzen, bis sie nur noch ein unangenehmens Zucken in der Brustgegend waren.
"Und nun, sei ein braver Junge, und leg deine Handflächen auf das FENSTER", dirigierte ihn Stephan mit schlagartig zuckersüßer Stimme. Anscheinend wechselte er nach belieben vom Monotonen ins Lebendige, dachte sich Steve und tat wie ihm geheißen.
Wie schon zuvor fühlte sich die Oberfläche kalt an. Irgendwie frostig und schrecklich. Als ob er sein schlagendes Herz in Händen hielt. Stephan - hinter dem FENSTER - tat es ihm gleich, legte die Handflächen auf die Seinen.
Unwillkürlich erfasste ein ziehendes Kribbeln Steves gesamten Körper. Er spürte ein Stechen in der Magengegend. Jäh erstrahlte das FENSTER in grellem Silberlicht, dass den weißen Lichtkegel verschluckte, dass die Straße unter Steves Füßen verschluckte und ihn selbst auch.
Dann plötzlich verschwand das grelle Licht. Steve sah sich verwundert um, rieb sich mehrmals die schmerzenden Augen.
Er lag in einem Bett. In einem Krankenbett. Vorsichtig wälzte er sich herum und spürte den Luftzug. Kalt, frostig und unangenehm. Er war allein in dem Raum. Wenn er sein eigenes Bett mitzählte, dann standen fünf Krankenbetten im Zimmer. Helles Tageslicht flutete den Raum und irgendwo in der Nähe zwitscherte ein Vogel. Sang seine fröhliche Melodie und versuchte verzweifelt die Geräusche der Stadt zu übertönten. Sie war deutlich zu hören. Das Hupen von Autos. Das Rufen der Passanten.
Die Frage war nur: IN WELCHER WELT BEFAND ER SICH? War es seine Eigene oder Psychotopia?
ID iioqsc, 170 months ago
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