Jedesmal, wenn sie in den Spiegel schaute, sah sie ein Loch, dass es zu füllen galt. Und es war tief. Grundlos. Alles passte hinein, was Befriedigung verschaffte. Essen. Trinken. Sex. Süßigkeiten, Tabletten. Aber nichts vermochte den Brunnen auf Dauer zu zu schütten. Sie konnte diesen Brunnen, dieses Loch nur zudecken, aber nie zu schütten.
Und immer wenn sie in den Spiegel schaute, fiel der Blickwinkel auf die Seite, sie sah dieses Loch.
Dann fuhr sie meistens an den Hafen. Ihr Lieblingsort, das Wasser war grau und tief. Dort hinten war der Yachthafen, hier lagen abends die Binnenschiffe. Gelöscht wurde die Ladung weiter den Fluss hinab. Doch meistens lagen sie hier und warteten bis zum Morgen.
Und das Wasser warf Spiegelbilder zurück. Das mochte sie nicht. Denn da war immer wieder dieses Loch.
"Na, Matrose? Noch unterwegs?" Er besah sie abschätzend wie ein Stück Vieh. Dann nickte er. "Jepp". "Ein wenig... Spaß?" Sie lächelte, obwohl sie das Loch in ihrem Inneren brüllen hörte vor Hunger. Er grinste. Wohl verrucht, wie er meinte, aber es war mehr ein sabberndes Grinsen. Er folgte ihr.
Während sie voranging, pfiff sie leise ein Lied. Und er blieb dicht hinter ihr. Weiter ging sie, auf den Steg hinaus, an dem ihr Boot festgemacht war. Sie stieg ein, unten schien es gemütlich zu sein... man merkte, der Matrose war gefangen in seiner Gier.
Schnell drehte sie sich um, als er hinter ihr an Deck sprang. Sie hielt einen Enterhaken in der Hand. " Denkst Du manchmal an Deine Mutter, Matrose?" Er zuckte nur mit den Schultern, dann starb er und fiel. Das Wasser war grau, und weil es sich bewegte, warf es kein Spiegelbild. Der Brunnen war ruhig. Fürs erste.
Leise wie verhaltenes Kinderlachen, trieben die sanften Wellen gegen den Bug des weiß gestrichenen Ruderbootes. Der erschlagene Seemann hätte es wohl eher als eine Nussschale bezeichnet, aber dies kümmerte die Frau nicht mehr als sie am nächsten Abend aus einem traumlosen Schlummer erwachte, von dem nichts überblieb als ein bitterer Geschmack in einem trockenen Mund. Erschrocken fuhr sie aus den weichen Federn hoch und blickte sich verstört um, der wage Gedanke an einen Ausbruch orgiastischer Gewalt fuhr ihr stechend, wie eine glühende Klinge zwischen die rotgeäderten Augen und ließ sie aufstöhnen. Zittrig aber bestimmt, griff sie nach einer Erleichterung versrpechend Medikamentendose, welche neben dem Bett stand.
>> Das würde ich nicht tun.<< knurrte es aus einer düsteren Ecke des Schlafzimmers und die Frau sah die flammenden Kohlen des blutroten Wolfes aus dem dunklen hervorsteigen, gleich zwei Zwillingskometen.
>> Aber wie ist das möglich?<< stotterte sie mit einer schwingenden Hysterie in der gebrechlichen Stimme. >> Ich hatte dich doch gestern gefüttert?<< Ihr Hände glitten unter das dünne Nachthemd und mit Entsetzen stellte sie fest das dort wo ihr Brustkorb mit den flachen Brüsten sein sollte nur ein dunkel, grollender Brunnen, tief und verschlingend klaffte. Der Wolf mit dem verwahrlosten, struppigen Fell legte seinen Kopf schief und die Karikatur eines spöttischen Grinsens zauberte sich auf seine schmutzige Schnauze.
>> Ach Frau du weißt doch, umso mehr du mich verwöhnst, desto mehr packt mich die Gier?<< lachte er mit einer rauen Stimme, welche die Gröllerei der Hafenstraßen Punks als reine Arien da stehen ließ.
Eine einzelne, bittere Träne des Selbsthasses, glitzerte leise wie fortgeworfener Schmuck über ihre blasse Wange.
Zaghaft und erschöpft kleidete sich die Frau an, ließ einen klobigen Haushaltshammer ihn ihrer tiefen Manteltasche verschwinden und drehte den Schlüssel in der Haustüre herum.
Erwartungvoll fletschte der Wolf seine gelben Zähne und sein Fell schien heftiger den je die Farbe von geronenem Blut zu haben. Grohlend dröhnte ein triumphales Heulen aus den Untiefen des pechschwarzen Brunnen, genau dort wo das Herz der Frau, seinen lebensspendenden Takt schlagen sollte. Mit gesenktem Haupt ging die Frau auf die menschleere Straße hinaus.Eine düstere Leere in ihrer Mitte und einen blutgierigen Wolf an der Seite.