Es war ein langer und harter Tag gewesen und obwohl Valentin eigentlich noch eine Menge Hausaufgaben zu erledigen hatte, beschloss er kurzerhand seinen Schulranzen in die Ecke zu feuern, und in den Wald zum Joggen zu gehen. Es war ein Herbsttag, der Himmel war grau, das Laub jedoch bunt. Allerdings war kaum mehr welches am Himmel zu sehen, da es sich wie ein bunter Teppich auf dem Boden verteilt hatte. Ein rutschiger, schlammiger, tückischer Teppich. Valentin ließ sich davon nicht beunruhigen. Der Wind bließ kalt in sein Gesicht und färbte seine Wangen so rot wie die Blätter am Boden. Seine Finger und die Nasenspitze kühlten zuerst ab. Sein Atem war eine Wolke vor ihm. Er musste sich in Form halten, bald spielten sie wieder gegen ihre Erzfeinde und sie brauchten dringend Tore.
Valentin schüttelte den Kopf, während er langsam anfing zu schwitzen. Ein anderer Gedanken dominierte seinen Kopf: Rosa.
Rosa, das hübsche Mädchen, dass so nah und doch so fern war. Jeden Tag sah er sie in der Schule, sie war zum Greifen nahe und doch blieb es für Valentin ein Traum sie zu halten oder zu küssen...er seufzte. Doch dies würde jetzt ein Ende nehmen. An seinem Geburtstag, denn er endlich mal groß feiern wollte, egal, was seine Mutter sagte, würde er seinen Mut zusammen nehmen und sie erstens: einladen und zweitens: fragen, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Beim Gedanken daran rumorte es in seinem Magen. Er war nervös...jetzt schon! Na klasse.
Er rannte noch eine Weile, in Gedanken versunken, durch den Wald, dann verlangsamte er sein Tempo und blieb schließlich gegen einen Baum gelehnt keuchend stehen. Er wusste nicht, wie lange er so im Wald stand, als plötzlich ein Knacken zu hören war. Als er aufblickte, sah er eine Gestalt in dunklen Klamotten in seine Richtung laufen. Noch ein einsamer Waldwander, dachte sich Valentin und wollte schon weitergehen, als...
...als ihm plötzlich auffiel, dass sich die Gestalt mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf ihn zu bewegte. Kein Mensch sollte dazu in der Lage sein. Er wandte sich instinktiv zur Flucht, nur um sofort durch den Zusammenprall mit etwas Steinhartem gestoppt zu werden. Wie war das möglich? Der Schwarzgekleidete stand direkt vor ihm und fletschte die spitzen Zähne. Ein eiskalter Schauer lief Valentin über den Rücken. Das war kein Mensch. Das Ungeheuer sah ihn mit blutroten Augen lauernd an. Dann setzte es zum Sprung an.
Was dann geschah, geschah zu schnell, als das Valentin sich genau erinnern konnte. Selbst in dem Moment nahm er alles verschwommen war. Er nahm kaum war, wie die Gestalt sich auf ihn stürzte, hypnotisiert von dessen roten Augen und den spitzen Zähnen, die er ungläubig anstarrte. Den Aufprall am Boden, dem Teppich aus Blättern, nahm er kaum war, nicht mal die Feuchtigkeit, die jetzt seine Kleidung durchdrang. Alles, was er wahrnahm war ein stechender, schrecklicher Schmerz an seinem Hals. Er wollte schreien, doch ihm fehlte die Luft zum Atmen, die Gestalt schien auf seinem Brustkorb zu sitzen. Etwas heißes lief an seinem Hals herunter, hinunter unter seinen Pullover über seine Brust. Blut? Speichel? Vor Valentin drehte sich alles und als der Schmerz und die Atemnot zunahm, verlor er das Bewusstsein.
Als Valentin wieder zu sich kam, wünschte er sich sofort, er würde wieder das Bewusstsein verlieren. Sein ganzer Körper litt unter unsäglichen Schmerzen, als würde er brennen. Vom Hals ausgehend schien ein loderndes Feuer durch seine Adern zu fließen. Wie heiße Lava breitete es sich bis in die Zehenn und Fingerspitzen aus. Er schrie vor Schmerzen laut auf. Niemand schien in der Nähe zu sein. Das Monster musste ihn einfach im Wald liegen gelassen haben. Was war nur passiert? Welche Art von Kreatur war da über ihn hergefallen? Valentin erfasste das blanke Grauen. Alte Legenden über Vampire und Werwölfe blitzten kurz durch sein Bewusstsein, dann nahm ihm der Schmerz wieder die Kraft zum klaren Denken. Er fiel in einen traumlosen Dämmerzustand, in dem er kaum noch etwas wahrnahm, außer den unsäglichen Schmerzen.
Als Valentin erneut erwachte, schaffte er es, etwas Klarer zu denken. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, wusste nicht, wer ihn angegriffen hatte und wo die Gestalt hin-verschwunden war. Alles, was er wusste, war das, was er sah und spürte. Er sah den dunklen Wald vor sich, es musste spät geworden sein und er entdeckte die dunklen Spuren in den Blättern, in denen er lag. Das musste Blut sein- sein Blut. Im nächsten Moment griff er sich an den Hals. Er fasste über zwei Wunden, wie zwei Löcher in seinem Hals. Die Zähne. Allerdings schienen sie bereits verheilt, denn kein Blut floss mehr heraus.
Valentin setzte sich auf. Er fühlte sich ungewohnt schwach und müde. Noch immer wollte er nicht so recht wahrhaben, was geschehen war. Er war gebissen worden, so viel stand fest...doch von wem oder was? Naheliegend waren Vampire Werwölfe...doch, das würde ja bedeuten, dass er, wenn er noch am Leben war, einer von ihnen sein musste!
Panisch griff er sich ans Handgelenk und suchte seinen Puls. Er fand ihn nicht. Griff sich ans Herz. Stille.
Für eine Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, saß er einfach nur im Wald und suchte nach seinem verlorenen Herzschlag.
"Argggh"
Schreiend erwachte Valentin. Entsetzt wälzte er sich herum, glaubte modrigen Geruch wahrzunehmen. Wusste nicht recht, wo er sich genau befand. Daheim, in seinem Zimmer? In dem stückchen Wald? Es war alles so echt. So detailliert gewesen.
Ein weiteres Mal wälzte er sich herum. Erst da spürte er die weiche Daunenbettdecke, die nun von ihm auf die Dielenbretter seines Zimmers rutschte. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen suchten seine zittrigen Finger nach dem Schalter seiner Nachttischlampe. Als er sie endlich fand, flackerte grelles, goldgelbes Licht auf. Erhellte spärlich sein Zimmer.
Schließlich setzte er sich auf, rieb sich die Schläfen und versuchte sich wieder zu beruhigen. Ihm war nichts zugestoßen.
"Nur ein dummer Albtraum", versuchte er sich zu beruhigen. Aber - verdammt - ein ziemlich realistischer Albtraum. Er hatte förmlich das Blut riechen können. Sein Blut. Und die ungeheuerliche Kraft des Monsters gespürt, welches über ihn hergefallen war.
Was hatte er noch gleich gedacht. Ein einziger Gedanke war ihm durch den Kopf geschossen, wie eine - aus einem Revolver - abgefeuerte Patrone. VAMPIR Sofort ergriff ihn eine unerklärliche Angst. Zitternd vor Kälte und Unwissenheit zog er seine Beine bis zur Brust.
War sein Albtraum wirklich passiert? Diese Frage stellte er sich immer und immer wieder, bis ihm eine Idee kam.
Langsam schloss er die Augen, sperrte das goldgelbe Licht seiner Nachtischlampe aus, so dass ihn nur noch tiefste Finsternis umgab. Lauschend horchte er auf das rhythmische Pochen seines Herzens.
Aber nichts dergleichen war zu hören. Großer Gott, noch nicht einmal das Rauschen seines Bluts drang an seine Ohren.
Und trotzdem atmete er.
Mit panischem Entsetzen griff er sich an den Hals. Zuerst spürte er nichts, bis ihm zwei winzige Narben - oberhalb seiner Halsschlagader - auffielen.
VAMPIR donnerte es durch seinen Kopf, hallte als Echo nach. Wieder begann das Zittern und zu allem Unglück bemerkte Valentin einen brennenden Schmerz in seiner Kehle. Das konnte nicht sein! Trotzdem fühlte er sich leer und ausgedörrt. Er hatte verdammt noch mal DURST. Seine Zunge glitt unbewusst über seine kalkweißen Lippen, als er das flache Atmen seines Bruders Lukas nebenan wahrnahm.
Ein ungewolltes Brummen kam tief aus seinem Brustkorb, während er die Zähne fletschte und seine beiden - spitz zulaufenden - Eckzähne preisgab.