"Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" "Bin ich nicht!" ...........
" Herrgott, so wie du dich benimmst könnte man ja wirklich denken, du bist zurück ins Kindergartenalter gereist!"
" Aber du hast doch auch Harry Potter gelesen...und Herr der Ringe...und Artemis Fowl...bist du etwa nicht zu alt für den Zauberkram?"
"Ich lese Bücher, du springst in sie hinein. Das ist nicht gut für dich. Du träumst mir dann zuviel, statt dich um reale, wichtige Dinge zu kümmern", erklärte seine Oma und betrachtete ihn mit traurigem Gesicht.
"Wichtig wäre zum Beispiel?" fragte der sich manchmal etwas altklug gebende 13jährige Mark und wartete darauf, seine Meinung zu Hausaufgaben abgeben zu können.
"Den Müll hinunter bringen."
Mark lachte. Seine Oma war doch immer wieder für eine Überraschung gut. Er gab sich geschlagen. Den Abfalleimer mit dem Restmüll in der Hand, stakste er die Treppe hinunter und verließ durch die Kellertür das Haus in den beklemmend engen Hinterhof. Bevor er die oberen Treppenstufen erreichte, vernahm er ein ungewohntes kratzendes Geräusch, das ihn erschreckte. Ein Blick nach oben veranlasste ihn dann, endgültig verängstigt, den Mülleimer fallen zu lassen. Laut scheppernd entlud sich der schmierige Inhalt auf dem teilweise zerbröselten Beton der Treppe. Ein kleines Mädchen, der unzählige dünne, pechschwarze Zöpfe am Kopf herunter hingen, saß neben einer extrem fetten, grau weiß gesprenkelten Katze und grinste ihn an. Die Katze grinste nicht, dafür funkelten ihre grünen Augen im Halbdunkel des Hofes. Eine ihrer Pfoten kratzte immer wieder über den Putz der Mauer, die Jahre zuvor neben der Kellertreppe aufgebaut worden war, ohne dass jemand wusste, wozu das dienen sollte.
"Ihr habt mich erschreckt." Mark bückte sich und schmiss mit spitzen Fingern den Müll zurück in den Eimer. Das zerbrechlich wirkende Mädchen, nur mit einer Flicken besetzten, dunkelroten Jeans und einem Shirt mit dem Aufdruck Nightwish bekleidet, klatschte vergnügt in ihre kleinen, sechsfingrigen Hände.
6 Finger? Mark ließ den Eimer erneut fallen und flüchtete zurück ins Haus.
"Was hat denn da unten so gescheppert?", erkundigte sich seine Oma, als Mark in die Wohnung gestolpert kam und die Tür laut hinter sich zuschlug.
"Oma! Oma!", kreischte Mark, "Unten sitzt ein Mädchen mit sechs Fingern und einer Katze mit leuchtenden Augen- sie leuchten so wie die Scheinwerfer von Papas Auto."
"Beruhige dich...", sagte seine Oma, " Jetzt geht deine Fantasie nun aber wirklich mit dir durch..siehst du, das meine ich doch- was ist mit dem Müll?"
Schuldbewusst sah Mark auf seine Füße: " Der...liegt auf der...Treppe."
Nun stemmte seine Großmutter die Hände in die Hüfte und sah ihn vorwurfsvoll an: "Das geht so nicht! Was sollen denn die anderen Menschen in diesem Haus denken, wenn sie auf einer Treppe laufen,auf der Bananen- und Eierschalen herumfliegen?"
Als Mark nicht antwortete, fuhr sie fort: "Du räumst den Müll jetzt sofort auf, Mark!"
"Was ist Nightwish?", kreischte Mark.
"Nightwish?"
"Das Mädchen trug ein Nightwish Shirt. Das ist bestimmt ein Hexenzirkel."
" Nein, nein.", seine Großmutter schüttelte den Kopf, "Dein Cousin Justus war vor einem Jahr auf einem Nightwish-Konzert. Das ist eine Band. Bisschen düster..."
Das war Mark jetzt doch peinlich. Seine OMA war auf einem neueren Stand als er!
"Jetzt aber zurück zum Müll."
"Nein! Nein! Nein! Ich geh da nicht wieder runter.", Mark verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf.
"Na gut.", seufzte seine Großmutter, "Dann gehen wir jetzt gemeinsam herunter, in Ordnung?"
"Ich sehe nichts."
"Omi, glaub mir, ein Mädchen und eine Katze. Und das Mädchen hatte 6 Finger."
"Und? Waren sie nett oder frech zu dir?"
"Frech."
"Stimmt gar nicht. Typisch Junge. Hat bei jeder Gelegenheit Schiss und schiebt es dann auf andere."
"Ich hab keine Angst. Und vor dir schon gar nicht", rief Mark wütend und zeigte nach oben, damit seine Oma ihm endlich glaubte.
"Na Inken, hast du es endlich geschafft, meinen Enkel aufzuwecken? Konntest du ihn nicht einfach in Ruhe lassen?"
Mark sah seine Oma erstaunt an. Sie kannte das Mädchen? Aber woher? Und wieso schimpfte Omi nicht mit ihr, weil sie auf dem Dach des hohen Hauses saß. "Das müsste ich mal bringen", murmelte er und sah seine Oma grimmig an.
"Passiert früh genug, fürchte ich", sagte diese und winkte Inken zu. "Lass es gut sein für heute. Ich muss mit Mark erst einmal einiges besprechen."
"Ist guhut!" rief das Mädchen, sprang auf und hüpfte zum Dachfirst hoch, wo die dicke Katze sich ausgiebig putzte.
Der Abfall lag endlich in der Mülltonne auf dem Hof. Mark trank erleichtert von der Milch, die ihm seine Oma soeben auf den Küchentisch gestellt hatte.
Nun saß sie ihm mit gerunzelter Stirn gegenüber und betrachtete liebevoll sein kleines Gesicht.
"Tja", seufzte sie, "jetzt kann ich es nicht mehr verhindern."
Mark verschluckte sich beinahe vor lauter Aufregung.
"Was denn? Was denn?" rief er und sprang vom Stuhl. "Omi, nun sag schon, was kannst du nicht verhindern?"
"Setz dich wieder hin!" Mark gehorchte ganz schnell, zappelte aber weiter herum wie ein roter Wackelpudding, denn sein Gesichtchen war ganz rot vor Aufregung.
"Dass du in die Lehre gehst", redete die Oma weiter "kommt für meinen Geschmack viel zu früh. Aber wem der Rat die kleine Inken schickt, der muss gehorchen. Das war von Anbeginn so und wird immer so bleiben."
Mark war sprachlos. So geheimnisvoll hatte seine Oma noch nie getan. Wovon redete sie nur?
"Omi, was meinst du damit? Was ist der Rat? Ist das etwas Schlimmes?"
"Der Rat ist nicht was, sondern wer", antwortete die Oma ernst.
"Hä? Ich verstehe kein Wort", nörgelte Mark. Er hatte nämlich plötzlich den Verdacht, dass ihn seine Oma veralbern wollte.
Die Oma schmunzelte, da sie seine Gedanken erriet. Um den Jungen nicht ganz durcheinander zu bringen, erklärte sie: "An einem Ort, den nur wenige Menschen kennen, gibt es einen mächtig dicken Baum, der innen hohl ist. In dieser Baumhöhle, so groß wie eure Turnhalle, treffen sich einmal im Jahr alle Oberhexen und Hauptzauberer der
Welt, um zu beraten. Diese Versammlung ist der Rat."
"Oma", sagte Mark total ernst und stemmte seine dünnen Arme auf den Tisch, "ich glaube dir kein Wort. So große Bäume gibt es nicht. Nirgendwo auf der ganzen Welt nicht." Das so respektlos zu sagen, war natürlich heikel. Schließlich behauptete er damit, dass seine Oma lügen würde.
Die nahm es gelassen, erinnerte sie sich doch noch vage daran, wie sie ihrer Mutter viele viele Jahre zuvor etwas Ähnliches gesagt hatte.
"Doch, den gibt es", sagte sie und Trauer überkam sie, als sie an den Anlass ihres einzigen Baumbesuches zurück dachte.
Es wird nicht mehr lange dauern, dachte sie weiter, dann werde ich ihm von seiner Mutter erzählen und damit einen Stachel des Schmerzes setzen, an dem er lange beißen wird. Heute noch nicht, beschloss sie, die allgemeine Stimmung zu heben: "Aber, dass es Hexen und Zauberer gibt, zweifelst du nicht an?"
"Omi, dass es Hexen und Zauberer gibt, weiß doch jeder. Aber deinen Baum kann es nicht geben. Die größten Bäume auf der ganzen Welt sind Mammutbäume. Die sind wirklich riesig hoch. Aber in den Bäumen ist nie und nimmer so viel Platz, wie in unserer Turnhalle." Nur kurz sah er seiner Oma ins Gesicht, dann kam ihm eine Idee: "Wie viele Oberhexen und Hauptzauberer gibt es auf der Welt?" fragte er.
Die Oma lachte: "Viele. Aber davon erzähle ich dir ein anderes Mal."
Sofort nahm ihr Gesicht wieder einen ernsten Ausdruck an. "Nur soviel schon einmal: Bis zum Ferienbeginn nächste Woche darfst du niemanden von diesen Dingen erzählen; auch nicht deinen Freunden. Versprichst du mir das?"
Mark nickte und hielt den Mund, obwohl er mindestens hunderttausend Fragen hatte.
Nicht lange, dann schickte Marks Oma ihn ins Bett.
Noch lange saß sie in dieser Nacht in der einsamen Küche und überdachte die vielen Maßnahmen, die es nun zu ergreifen galt.
Mark konnte ebenfalls nicht schlafen. Er wusste zwar nicht, was eine Lehre war - er hatte vergessen zu fragen - aber er ahnte, dass es etwas war, was mit Zauberei zu tun hatte. Und außerdem hatte er ein ganz fürchterliches Problem: Wie sollte er seinem besten Freund Robin von diesem Tag erzählen, ohne das er die vielen Geheimnisse rund um Sechs-Finger-Inken, Riesenbaum, Hexen und Zauberer verriet?