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Gerechtigkeit des Himmels

Der Himmel besteht aus drei Wolken, einer Hochspannungsleitung und mehreren dunkelgrünen Baumspitzen, normale Fichten, die nicht besonders hoch sind, aber schräg von unten betrachtet ragen sie so in den Himmel, als wollten sie ihn durchstoßen. Die Wolken sind das unzuverlässigste am Himmel. In wenigen Minuten sind sie verschwunden oder durch andere Wolken überweht, vielleicht auch schon nach Sekunden. Der wahre Himmel ist immer blau, auch wenn wir es nicht sehen, das Blau ist immer hinter den Wolken.

Rechts stehen zwei Fichten eng beieinander. Die Spitzen ragen hoch wie Doppeltürme einer Kathedrale. Auf halber Höhe dieser Kathedrale zieht sich von rechts nach links die Hochspannungsleitung. Dahinter ein diffuses Wolkenfeld, das sich, seit wir es beobachten, schon merklich verändert hat.

Immergrüne Flaschen in der satten Farbe von Fichten füllen sich langsam mit einer verbotenen Flüssigkeit, dann werden sie von fleißigen Maschinen etikettiert, in Kartons verpackt und die grünen Bullen transportieren sie mit Kleinlastern ab in die Lagerhallen. Danach ist erst mal Ruhe. Doch viele Fragen bleiben offen. Die wichtigste Frage ist die: Wie sind die Flaschen etikettiert? Ist es Parfüm oder Wein, Schnaps, Likör oder eine Universalmedizin? Was passiert, wenn die Käufer das trinken, was in diese Flaschen gefüllt wird? Werden die Trinkenden geil oder ungeil, aggressiv oder süchtig, und was tun wir, wenn viele von ihnen zu viel davon getrunken haben?

Diejenigen, die viel getrunken haben, geraten in versteckte Fallen, die von grün gekleideten Ordnungskräften bedient werden. Immer eine Person pro Lebendfalle. Abgerechnet wird erst am jüngsten Tag, so die offizielle Meinung der Theologen.

In Wirklichkeit gibt es keine Abrechnung. Das Böse in dieser Welt bleibt ungesühnt. Das Leben scheint Gut und Böse nicht zu kennen. Da gibt es Ordnung und Chaos, beides hat seine Berechtigung, und die Ordnungskräfte sind nicht automatisch die Guten, die Chaoskräfte, die in den Säften stecken, und die Täter, die solche Flaschen abgefüllt haben, sind genau so gut oder schlecht wie du, der nur gelegentlich davon trinkt.

Die Meute derjenigen, die zu viel getrunken haben, zieht weiter in ein anderes Stadion, wo die gleiche trügerische Hoffnung auf einen Sieg besteht. Und je mehr sie trinken, desto weiter entfernt ist der Sieg. Also will ich euch eine andere Geschichte erzählen...

Ein Vater hatte drei Söhne; der eine war groß und stark, er wurde Pianist; der zweite war von der Mutter verwöhnt und verweichlicht, er wurde Bankkaufmann; der dritte war der intelligenteste von allen, er wurde städtischer Beamter. Als der Mann sterben sollte, rief er seine drei Söhne an sein Bett und sprach: "Ich hab euch alles gegeben, was ich hatte, erzählt mir, was ihr aus eurem Leben gemacht habt!"

Da kam der erste Sohn, der Pianist geworden war, und sprach: "Ich kann Klavier und Cembalo spielen, soll ich dir eine Etüde auf meinem Keyboard vorspielen? Ich habe es hier mitgebracht."
Da mischte sich der zweite Sohn ein: "Bleib uns vom Leib mit deinem Geklimper, Bruder, das ist brotlose Kunst!"
"Nein", sagte der Vater, "lass uns hören, was er zu bieten hat!"

Und der erste Sohn spielte eine Passage aus der zweiten Klavierkonzert von Rachmaninow, so schön, dass dem Vater die Tränen kamen. Der dritte Sohn aber fragte lauernd:
"Hast du dir das selber ausgedacht?"
"Nein", antwortete er, "das war eine Passage aus dem zweitem Klavierkonzert von Rachmaninow."

Nach ein paar Minuten raffte der Vater sich auf und sprach zu seinem zweiten Sohn:
"Du bist Mutters Liebling, zeig uns, was du aus deinem Leben gemacht hast!" Der Bankkaufmann stellte sein Laptop auf das Bett und ließ Bilanzen über den Bildschirm huschen.
"Sieh Vater, schon vor Jahren habe ich Schulden in Japan gemacht und an der Börse in Singapur dafür chinesische Aktien gekauft; wenn ich jetzt die Aktien verkaufe und die Kredite ablöse, mache ich eine Million Gewinn."

"Das sind Singapur-Dollars, sie schwinden wie Schaum unter einer Tsunami-Welle", sagte der dritte Sohn, "nirgendwo ist eine Sicherheit, an die du dich halten kannst."
"Sei still!" stöhnte der Vater, "zeig uns lieber, was du erreicht hast."

Der dritte Sohn setzte sich auf die Bettkante, faltete einen Aktenordner auf und legte die Papiere einzeln auf die Bettdecke, während er den Sinn dieser Schriftstücke erklärte:
"Beamtenvertrag auf Lebenszeit mit Pensionsberechtigung auch für meine Witwe. Der Bausparvertrag ist ausschüttungsreif, und hier eine Lebens-versicherung mit doppelter Auszahlung im Falle eines Unfalls."

Der Vater hustete eine Weile, und alle glaubten, dass dies das Ende bedeuten würde, doch das Husten ging über in ein Lachen, er legte den Kopf ganz nach hinten, lachte gurgelnd und atmete schwer, innerlich schien er neue Kraft zu schöpfen. Dann begann er zu schwitzen, schüttelte sich und bäumte sich auf mit den Hüften wie im Fieber, er schob die Bettdecke halb nach unten.

"Fort mit Euch ihr Nichtsnutze, ihr habt das Leben nicht begriffen!" Dann stand er auf, ging taumelnd in das Badezimmer, duschte sich so heiß er konnte und dann so kalt er es ertrug, zog seine besten Schuhe an und verließ das Haus, ohne dass seine Frau ihn halten konnte. Die Söhne hatten sich längst aus dem Staub gemacht.

Erst kaufte der alte Mann ein Lotterielos, dann spielte er sechs Reihen Lotto und ging anschließend in ein Wettbüro, dort setzte er all sein Geld, bis er nichts mehr hatte, anschließend betrank er sich ohne die Zeche zu bezahlen und wurde schließlich von der Polizei nach Hause gebracht.

Er gewann dreimal, insgesamt mehr als vier Millionen, und noch heute lebt er glücklich und zufrieden auf einer Insel in der Karibik mit einer Frau, die vierzig Jahre jünger ist als er; die Söhne hat er völlig aus den Augen verloren, nur Enkelkinder besuchen ihn manchmal, sie wollen von ihm wissen, woher das Glück kommt.

Sie kämpfen mit Journalisten und Werbefachleuten um ihr ungetrübtes Konsumentenglück. Jeder versucht ihnen einen Floh ins Ohr zu setzen. Du sollst kaufen, du sollst nicht nur kaufen, du sollst zu bestimmten Preisen kaufen und in streng vorgeschriebenen Supermärkten, nicht an Kiosken, Tankstellen oder bei Billiganbietern und nicht da, wo die geilsten Verkäuferinnen herum streunen. Sie drehen dir den Rücken, wenn du nichts kaufst, zeigen dir einen Vogel, wenn du sie ansprichst, das heißt, wenn du sie auf etwas anderes ansprichst als auf den Preis der Ware und deine Konfektionsgröße. Du musst ihnen genau deine Maße sagen. Wenn du sie aber nach ihrer Körbchengröße fragst, dann bekommst du eine schnippische Antwort.
"Das geht dich überhaupt nichts an, du Schlappschwanz."

Die Verkäuferin ist nämlich himmlisch verliebt in einen der Kerle, die im Fitness-Center arbeiten. Er hat schon leicht graue Haare, die Stoppeln, die zu erkennen sind, sind grau. Wohl Ende dreißig oder vierzig, und die Verkäuferin ist vielleicht 18, aber sie fickt gut. Mit dir will sie nichts zu tun haben. Das ist der Lauf der Dinge. Du kannst ja selber im Fitness-Center arbeiten, aber dann musst du auch die Luft dort atmen. Da kannst du natürlich Frauen aufreißen, dass es nur so knackt.

Nur oberflächlich betrachtet ist die Welt ungerecht, wenn du tief unter die Oberfläche gehst, wird sie immer gerechter, je tiefer du eindringst. Ganz im Innersten ist das Chaos; dort regiert der Zufall. Der Zufall ist gerecht. Er ist etwa genau so gerecht wie Gleichheit. Aber Gleichheit ist nicht Gleichmacherei. Gerechtigkeit hat zwei sich widersprechende Prinzipien: Gleichheit und Zufall. Im Innersten sind die Dinge zufällig und gleich verteilt.

Es wird jetzt da draußen schon langsam dunkel. Dann werden am Himmel erst die Wolken und dann die Drähte verschwinden, später auch die Bäume. Der Himmel ist, wenn es schließlich Nacht wird, mit offenen und geschlossenen Augen der gleiche.
Wir könnten der Frage nachgehen, ob es ganz genau oder nur ungefähr der gleiche Himmel ist. Denn wenn er auch genau so aussieht, braucht es nicht exakt der gleiche zu sein, es kann ja sein, dass der Himmel in der Nacht ununterscheidbar ist von dem Dunkel, das wir mit geschlossenen Augen sehen.

Manche Wissenschaftler widersprechen dem und damit der Quantentheorie, sie machen zwischen gleich und ununterscheidbar einen Unterschied, ich nicht; ich glaube, dass im Dunkeln die Gerechtigkeit des Himmels genau so gerecht wie das Chaos ist.

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Ein Blick aus dem Fenster bringt dich zum Nachdenken, doch ohne greifbares Ergebnis. Darum wird eine andere, wilde Geschichte erzählt. Es geht um das Glück, den Tod, den Zufall und die Gerechtigkeit im Leben.

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Bäume, Erfolg, Gerechtigkeit, Glück, Himmel, schräge, Totenbett, Welt, Zufall

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i-robi-rob

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