Blutnacht – Tanz der Nacht
New York City war eine der bevölkerungsreichsten Städte. Ein Stadt voll von Leben und die Wege verschlungen, zumindest wenn man wie sie mit dem Taxi fuhr. Eve befand sich nahe dem Central Park in der Fifth Avenue. „Nach Broklyn, North-Street bitte.“ sagte sie. Ein Nicken war alles was sie zurückbekam. „Sie sind wohl nicht sehr gesprächig. Wissen sie, wenn man versetzt wird ist das okay, auch wenn man verträumt ist aber –„ Sie hielt inne. Kalte, blaue Augen wanden sich ihr zu. Gehen sie vom Gas!, wollte Eve brüllen, doch sie konnte nicht einmal mehr ausatmen.
*
Sie waren hier – überall und unter ihnen. Doch die Menschen bemerkten sie kaum. Manch einer warf ihnen schiefe blicke zu, sog bei ihrem Anblick tief die Luft ein oder rannte einfach nur weg. Die meisten aber sahen sie nicht einmal, für sie blieben die Wesen der Nacht Schatten. Luftzüge. Und Halluzinationen, als Folge von Stress, Überarbeitung und Schlafmangel. Denn was diese Wesen wirklich waren, daran konnte ein Mensch gar nicht denken: Vampire. Vangal lächelte grimmig. Die Nacht hatte gerade erst begonnen und er war hungrig. Sehr hungrig. Zum letzten Mal hatte er vor drei Tagen gespeist. Eigentlich könnte er noch zwei weitere drauflegen, aber er wollte nicht auf den Spaß verzichten. Auf die Lust die das Töten mit sich brachte und letztlich das köstliche, frische wie süße Blut. Menschblut. Besser: Das Blut einer jungen Frau.
Vangal sog die Luft tief in seine Lungen. Da war er – der Duft einer dieser Frauen. Nach Vanille mit einer Prise Muskat. Nur etwas abgeschottet und es bewegte sich fort von ihm. Vermutlich fuhr sie mit einem Verkehrsmittel aus der direkten City. Sein Rücken bog sich durch, die Eckzähne fuhren aus, wuchsen zu messerscharfen Dolchen. Und durch ihn selbst pulsierte eine neue, gewaltige Kraft. Jetzt würde ihn nichts mehr halten, er hatte sein nächstes Opfer gefunden. Es war eine der leichtesten Übungen sie aufzuspüren und in wenigen Sekunden bei ihr zu sein, zumal er mehr als vierhundert Jahre Erfahrung damit hatte. Und junge Dinger, nun, es gab hier nicht gerade wenige.
Der Vampir fixierte das Dach eines Wohnblocks in mehreren Metern Höhe. Ein beugen seiner Knie, wieder durchstrecken und er schwebte aufwärts wie von einem Lift getragen. Dann war er auf dem Dach des Gebäudes gelandet – lautlos. Du denkst du bist schnell?, dachte er. Ich bin schneller. Und ich werde es dir beweisen, meine Süße, die du noch nicht einmal etwas von deinem Glück ahnst!
*
Die Pupillen des Fahrers waren geschlitzt, wie die einer Raubkatze. Wie macht er das, fragte sie sich. Fahren ohne auf die Straße zu sehen. Im fahlen Licht der Straßenlaternen wirkte sein Gesicht kantig und wie mit dem Lineal gezogen. Dass aber, was sie wirklich unruhig auf ihrem Sitzfleisch hin und her ruckeln ließ und ihr die Luft genommen hatte, waren seine Zähne. Hellweiß und spitz und vier von ihnen wuchsen aus wie die Fangzähne eines Raubtiers. Unmöglich! Und doch geschah es vor ihren Augen. „Still jetzt“ sagte er „Kein Wort mehr! Oder sie sind noch ehe sie bis drei gezählt haben Tod. Eve.“ „Woher-„ sie hielt inne. Aber woher zum Teufel kannte er ihren Namen? Sie hatte bisher immer ihr eigenes Auto benutzt. Kennen konnte er sie also nicht. Plötzlich ging ein Ruck durch das Taxi. „Verdammt“ murmelte der – ja was war er eigentlich? – Fahrer und wand seinen Kopf in Fahrtrichtung. Die kalten Augen entließen sie, Sauerstoff füllte die Lungen, ihr war als löse sich ein Kraftfeld auf, das sie an Ort und Stelle fixiert hatte. Sie musterte den Mann genauer. Hatte er zuvor auch schon diese breiten Schultern gehabt? Und dieses gewaltige Rückrat? Wieder kam das Fahrzeug ins Schlingern und da erst vernahm sie das Knirschen von Blech. Als würde jemand mit einem Messer ins Fahrzeuggehäuse schnitzen. Und … da bewegte sich doch jemand über ihr! Während der Wagen fuhr? „Wenn ich jetzt sage, werden sie die Türe aufstoßen und hinaus hechten.“ Die Worte kamen, als wäre es das alltäglichste. „Also, jetzt hören sie mal –„ Wieder wurde Eve unterbrochen: „Verstanden? Was hier geschieht, geht nicht einmal in ihren Schädel. Also gehorchen sie einfach und … sie werden vielleicht überleben.“ Sie spürte, dass er schon beinahe gesagt hätte „und alles wird gut“. „Sagen Sie mir nur, wer sie sind.“ Stille entstand. Das Motorengebrumme und Knirschen über ihnen die einzigen Geräusche. Eve sog ihre Lungen voll, als würde sie es nicht mehr oft können. Ein Grollen wie bei einem Gewitter drang zu ihr. Der Ausgangspunkt war direkt über ihr. „Ich bin Slider. Aber das ist egal, vergessen sie mich und tun sie nur eines – wenn sie erst da draußen sind: Laufen sie!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hau nicht einfach ab. Ich kämpfe. Und wenn ich wegrenne, dann möchte ich zumindest wissen wovor.“ Ein Grollen, wie das über ihr, nur kam es diesmal geradewegs von vorne. Sein Gesicht war nur Zentimeter entfernt. „Es ist nicht ihr Kampf und auch nicht ihr Weg. Verschwinden sie einfach! Und lassen sie die Welt wie sie ist.“ Sie lachte. „Bin ich nicht schon ein Teil dieses Kampfes? Glauben sie wirklich, man wird mich so einfach gehen lassen? Wenn mich jemand erpressen möchte, so findet er mich wieder.“ Eine Hand packte sie an der Schulter, riss sie vorwärts. Im nächsten Moment konnte sie seinen Atem riechen – alt, uralt und leicht modrig. „Es gibt keine Wahl zwischen zwei Dingen! Es geht nur um eines.“ Obwohl sich ihr Magen drehte und eine Stimme ihr riet nicht zu fragen, sagte sie: „Was? Was ist der Grund für diesen Angriff?“ Eve versuchte das blinzeln ihrer Augen zu unterdrücken. „Was?“ hauchte sie wiederholt. Da spürte sie seine rauen Lippen, die bei jeder Silbe die ihren berührten und als er gesprochen hatte, wanderten diese ihren Hals hinab zur Schulter, verhielten mitten dazwischen. „Blut. Dein Blut.“ hatte er gesagt. Und ihr Puls war in die Höhe geschnellt, tat es noch immer. Die Wände des Taxis drehten sich um sie. „Nein!“ dachte sie. „Nein!“ sagte sie. Etwas Kaltes lief ihre Wange herab. „Niemals.“ „Niemals.“ Das Wort war kaum mehr als Wort zu bezeichnen, sie erahnte es nur noch. „Jetzt“ knurrte der Fahrer und Eve schnellte wie von einem Lasso gezogen zurück und nach rechts. Sie machte sich auf den Aufprall mit der Tür gefasst, den Schmerz. Nichts! Und dann geschah alles ganz schnell. Eve bemerkte wie sie auf den Teer fiel, wie sie sich überschlug, wie ihr Rock an den Knien riss und die Ärmel der Jacke ihre Handgelenke vor dem Bruch schützen, wie sie der längs nach auf dem Bauch zu liegen kam und keuchte.
Schwer atmend hob sie den Kopf so gut es ging. Wenige Meter entfernt nur war das Taxi zum stehen gekommen, die Windschutzscheibe gesplittert. Ein Krachen. Was war nur geschehen? Und das nur wegen ihrem Blut! Wegen ihrem Blut starb der Fahrer, verkeilten sich Autos ineinander und entstand ein Hupkonzert. Und über dem ganzen … nein … nicht das! Das konnte nicht sein. Sie schüttelte den Kopf. Gleichzeitig robbte sie rückwärts, ignorierte den Schmerz, der dabei aufkam. Weg, nur weg wollte sie und vergessen. Doch selbst wenn, die Bilder würden nie wieder aus ihrem Kopf gehen. Und vor allem die Wahrheit nicht! „Niemals“ hörte sie es noch zu ihr dringen, bevor die Schwärze sie zu sich holte.
*
In kürzester Zeit hatte Vangal sie eingeholt. Tatsächlich fuhr die Frau mit einem Taxi. In Sekunden schätze er die Entfernung und Winkel ab, dann sprang er – und landete perfekt. Der Duft nach Vanille und Muskat überwältige ihn beinahe. Der Hunger war zu stark als das es jetzt noch ein Zurück gäbe. Er war wie in Raserei, durch den scharlachroten Schleier nahm er nur am Rande die Präsenz des anderen war. Einer von meiner Sorte, begriff Vangal. Doch es war ihm egal. Er musste diese Frau haben. Sollte es zu einem Beutekampf kommen, er, Vangal, war bereit.
Er zog einen seiner beiden Kurzdolche, der mit einer zusätzlichen Silberlegierung überzogen war aus dem unter seinem Mantel verborgenem Seitenhalfter. „Dann wollen wir doch mal sehen.“ knurrte er und lächelte dabei. Fahrzeuge rasten an ihm vorbei, während er schnitt, doch keines hupte auch nur. Das Knirschen von Metall trieb ihm Geifer zwischen die Lippen und der Geruch von ihr wurde immer deutlicher! Immer wieder musste er absetzen, lief unruhig auf dem Dach hin und her. Und dann warf es ihn quer durch die Luft. Das wirst du mir büßen, dachte er noch im Flug, spannte seine Muskeln und zog einen Bogen. Als er wieder auf dem Fahrzeug landete, bemerkte er, dass die Frau nicht mehr darin war. Draußen, sie ist draußen! So nah! Die Kehle wurde ihm trocken, die Fangzähne pochten vor Gier. Blutgier! Ein Splittern der Windschutzscheibe, noch während er dies wahrnahm, schleuderte er sich in die Luft wie eine Rakete. Und dann sah er ihn. „Du?“ Es war die erste und letzte Frage die er stellen würde. Der Andere war einmal wie er gewesen, doch dann hatte ihn irgendein dummes Pferd geritten und er hatte sich von ihrem Clan abgekapselt. War zum einsamen Nachtwandler verkommen. Vangal verstand nicht wie man auf Reichtum und Ruhm verzichten konnte. Auf Machtmittel mit denen man Zugang zu allem und jedem bekam. Vor allem zu dem kostbarsten und edelstem Blut! Und wenn die Fanglust zu stark wurde – so wie heute bei ihm – konnte man immer noch auf die Jagd gehen. „Oh mein geliebter Bruder“ drang die Stimme des Einsamen zu ihm. „Wollen wir heute ein Ende läutern? Oder gehst du und dann gehe auch ich.“ Vangal gab ihm die Antwort in dem er seinen zweiten Kurzdolch zog. Jetzt war er eine der tödlichsten Kampfmaschinen der Nacht. So ist dass, dachte er, während er sich noch immer an Höhe gewinnend einmal um die eigene Achse drehte, wenn Blut dazwischen kommt, dann werden selbst Brüder zu Feinden. Warum auch musste sein Zwilling zu einem Beschützer der schwachen werden? Er beteuerte immer, sonst gäbe es bald kein frisches Blut mehr. Aber da war noch mehr. Denn Slider trank nicht einmal das Blut der hübschen Jungfrauen! Er trank nur das der armseligen, verkommenen Leute. Vermutlich war es damals geschehen, als er Sliders Geliebte der Nachtschicht zuführe, als er von ihrem Blut trank, mit ihr fickte und sie zu einer von ihnen wurde. Zu einem Vampir an seiner Seite. Zu seiner Geliebten. Wie hatte er auch wissen können, dass einer der größten Kämpfer an einer Menschenfrau hing?
Egal! Der Kampf war das Entscheidende und ihr Blut würde der Lohn sein. Eve`s Blut. Er sah wie Slider von oben wie ein Todesengel herab sauste, ein Schwert vor sich schwenkend. „Niemals!“ drang es zu ihm. Ein seltsames Wort. Denn im Grunde gab es das nicht. „Dann fahr zur Hölle!“ Vangal wich seinem Hieb aus, stieß sich von dem Körper des Kontrahenten in Richtung der Frau und warf einen seiner Dolche dem ehemaligen Bruder hinterher. Das musste ein Volltreffer sein. Er lachte, landete kurze Zeit später auf dem Häuserblock, der direkt über der Frau aufragte. Oh ja, jetzt würde er bekommen, was ihm zustand. Blut! Wie in jeder Nacht. Denn die Nacht war voll davon.
Vangal breite die Hände aus. Wie ein Lebensmüder ließ er sich vom Dach fallen. „Komm, komm zu mir!“ sagte er, wusste sie würde ihn hören und tief in ihm sagte eine Stimme: Er würde sie zu der seinen machen.
Ihr Puls rückte näher und näher. Seine Augen waren nur noch auf diesen Flecken an ihrem Hals gerichtet. Ja, sein eigenes Herz passte sich dem ihren an. Und dann war er bei ihr, nahm ihren Kopf in seine Hand, hob ihren Körper auf seine Knie. „Mein Täubchen, du riechst wie eine die ich kannte. Und nun … erfahre wie es ist anders zu werden. Erfahre wie es ist, von mir ausgelaugt zu werden.“ Der Vampir riss sein Kiefer auf, im nächsten Augenblick waren seine Fangzähne auch schon in ihre Haut gedrungen, hatten den Puls unter sich und er labte sich an ihrer Jugend, ihrem Leben. Nur einen letzten Funken würde er zurücklassen, ein letzten Tropfen Lebenskraft, damit sie wiederkehren konnte.
Das Blut war dünn und köstlich. Mit einem Mal aber gesellte sich ein bitterer Geschmack dazu. Wie nach Peperoni und er begriff: Sein Blut! Dann war da der Geruch von Metall. Metall in seinem Blut. „So ist es nun gekommen, dein Ende. Mein Bruder.“ hörte er die Stimme. Die Stimme des Einsamen. Also hatte er ihn verfehlt. Vangal hörte auf zu saugen. Er wand sich Slider zu und lächelte. „Willst du auch etwas? Hier, mein Bruder, ich überlasse dir die letzten Züge.“ Dann verschwand sein Lächeln. „Sie ist tot! Hörst du, tot! Es sei denn, wir manchen sie zu einer von uns. Ist es also noch wert, mich der Nacht zu rauben? Mich, mein Bruder?“
„Ja“ und da schlug sich etwas Heißes in seinen Hals. „Bruder!“ Es war sein letztes Wort und er wusste auch das Letzte, was er wahrnehmen würde. Sein letzter Gedanke: Und er schlug ihm ab den Kopf, nahm des Bruders Leben, denn Tod war das einzige was er konnte geben.
*
Slider verabscheute es. Aber die Nacht forderte immer wieder ihre Opfer. Sich zurückziehen, es auf die normale Tour zu versuchen brachte nichts – er hatte es heute wieder gesehen. Selbst als Taxifahrer war man nicht vor Unheil gefeilt. Und wenn er weg sah … der Stadt würde es kaum helfen. Nein, wenn er nichts tat würde das Gegenteil eintreffen! Sie würde untergehen. Sterben, sich in Blut und Wahnsinn verlieren. Und in die Hand von Vampiren geraten – von Vampiren, die sich selbst am nächsten standen.
Er streckte den Kopf in die Nacht und schrie. Da stand er, in der North-Street, und wusste nicht wohin. In ihm flüsterte es: Zu ihr! Doch er kannte die Antwort, wusste wohin das führte. Aber konnte er sie so sterben lassen? Sie, die ihn an sein einstiges Mädchen erinnerte, die Menschenfrau, die sich sein Bruder geschnappt hatte. Wieder strich er über ihre Wange. Die Wunder am Hals hatte er verschlossen. Die Lebenskraft in ihr aber war zu gering, der Blutverlust zu groß, als dass sie als Mensch wiederkehren konnte. Sie würde die Nacht nicht überleben, nicht einmal ein Krankenhaus konnte ihr noch helfen. Nur er. Er allein. Es lag in seiner Hand. Und er hasste sich dafür. „Auch damals hatte ich die Wahl“ murmelte er. „Hätte ich sie zu einer von den meinen gemacht, hätte ich sie zu meiner gemacht, wäre dies alles nicht geschehen.“
Ein letzter Blick in hektisch blinzelnde Augen. Sie wurde von Fieberwahn geschüttelt. „Tu es. Es … gibt kein … niemals.“ hauchte sie. „Eve“ krächzte er. „Meine ... Geliebte!“ Und dann biss er zu – in sein eigenes Fleisch, um ihr von sich zu spenden. Sein Leben, seine Kraft. Seine Unsterblichkeit. Und dieses Mal würde er nicht versagen. Slider würde für immer für sie da sein. „Für die Ewigkeit“ knurrte er, ließ das Blut in ihren Mund fließen und küsste sie. Der Vampir spürte wie ihre Lippen sich spitzen, wie sie anfingen zu saugen. Plötzlich schlug Eve die Augen auf. „Ich will Rache.“ krächzte sie. Slider strich ihr eine blutverschmierte Strähne aus dem Gesicht. „Die sollst du kriegen meine Liebe. Aber erst stärke dich. Schließlich besitzt auch du nun eine Ewigkeit für deine Rache.“ Und Slider ahnte, dass sie gewaltig sein würde. Das sie Grenzen sprengen und die Welt in ein neues Gleichgewicht bringen würde. „Es musste so kommen“ sagte er sich, während seinem Gang zum Kraftraum. Während die angehende Vampirin ihre Kraft im Schlaf finden würde, würde er sich an den stählernen Geräten, der erhöhten Schwerkraft und der Waffenkunst üben. Und dann, in der kommenden Nacht, würden sie losschlagen. „Die dunklen Engel sind zurück.“ Slider lächelte grimmig, seine Eckzähne fuhren dabei aus. „Und New York City ist ihr Revier.“
© by Marc London
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