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Es war bitterkalt. Die Luft strömte durch das offene Fenster ihn den vollkommen stillen Raum. Das alles wusste Steve, obwohl er die Augen fest geschlossen hielt. Er befand sich noch nicht einmal im Raum. Vielleicht regestrierte sein Körper die Temperaturänderung. Den gelegentlichen Luftzug, der durchs Zimmer strich und seine Haare zu Berge stehen ließ.
Steve schlief. Trotzdem war er wach. Hellwach!
Aber nicht in dieser Welt. Er befand sich weit, weit weg. An einem Ort, den er sehr viel später Psychotopia nennen würde.
Stöhnend drehte sich sein Körper auf die - vom Fenster abgewandte - Seite. Er atmete flach und jeder, der an der Tür zu seinem Zimmer anklopfte, würde meinen, dass er tief und fest träumte. Dass er in anderen Welten einstweilen lebte, die lediglich in seinem Kopf existierten.
Und GENAU das tat er auch.
Wie gesagt, er befand sich in Psychotopia. Einer Stadt, die nur in seinem Kopf existierte. Aber der Weg dorthin war schmerzhaft, dunkel und voller Rätsel gewesen.

Benommen schlug Steve die Augen auf. Rieb sich die schmerzenden Augen und erkannte, dass er blind war. Zumindest glaubte er dass, denn er sah nichts weiter, als Schwärze. Undurchdringlich und bedrückend. Schwer schnaufend richtete er sich auf. Fühlte einen schwarzen Boden unter sich. Waren das Steine, Fließen, Holz oder doch Kies? Vielleicht sogar Sand, denn als er den ersten Schritt in die Dunkelheit wagte, sakte sein rechter Fuß leicht ein. Er glaubte ein Rieseln zu hören und erinnerte sich sofort an gelbbraunen Sand. Wie im Sandkasten!
Dennoch blieb alles finster. Kein Licht am Ende des Tunnels! Verwirrt drehte sich Steve nach allen Seiten um, aber DREHTE er sich wirklich? Schließlich hatte er keinen Anhaltspunkt.
Er spürte sein Herz schneller schlagen, bis es schmerzhaft gegen seinen Brustkorb donnerte. Und erst, als er glaubte in der Dunkelheit zu ersticken, bemerkte er die glühend roten Punkte. Es waren zwei und sie schwebten etwa auf Brusthöhe. Irgendwie erinnerten sie in an etwas, wie zuvor der angebliche Sand an einen Sandkasten. Aber - so sehr er sich auch anstrengte - diese Erinnerung blieb leer. So schwarz, wie seine Umgebung. Wenn man es überhaupt "Umgebung" nennen konnte.
Wenigstens hatte er jetzt einen Anhaltspunkt. NEIN! Sogar zwei. Vorsichtig ging er auf die glühenden Lichter zu und streckte unwillkürlich die rechte Hand aus. Schritt für Schritt näherten sie sich, wobei seine Füße im Sand immer wieder einsackten.
Dann - ohne jgeliche Vorwarnung - stieß sein Zeigefinger gegen etwas Robustes. Es stand zwischen ihm und den leuchtend roten Punkten, die nun leicht erzitterten, als hätte man mit dem Finger gegen ein Wasserglas gestoßen.
Verdutzt sah sich Steve um, konnte jedoch nichts erkennen. Wie denn auch?, dachte er sich und sah sich verstört um. Wo war er nur, Gott verdammt? Das Zittern der Leuchtpunkte ließ nach und als Steve einen weiteren Versuch startete, die Punkte zu berühren, stieß er abermals gegen etwas hartes.
Es fühlte sich kalt und leblos an. Das Rot zitterte wieder. Nach circa vier Versuchen gab Steve auf. Er trat einen Schritt im weichen Untergrund zurück. Starrte unentwegt auf die Leuchtpunkte und wollte - nein, er KONNTE - den Wunsch sie zu berühren nicht aufgeben. Doch nach etlichen Minuten - Steve konnte in dieser Finsternis keinen Ablauf von Zeit erkennen - veränderte sich erneut etwas. Von irgendwoher drang fahles, weißes Licht. Es war nicht grell und tat auch nicht in den Augen weh. Steve hatte fast den Verdacht gehegt, dass es überhaupt nicht exestierte. Das er sich dieses Licht nur einbildete. Aber wenigstens konnte er nun erkennen, wogegen er die ganze Zeit gestoßen war.
Ein unbeschreiblich großer Spiegel stand vor ihm. Die Leuchtpunkte glühten Rot auf. Das weiße Licht fiel so ein, dass der Spiegel vertikal erhellt wurde.
Langsam glitt Steves Blick am Spiegel hinab, dessen Rahmen ramponiert aussah. Als würde er schon seit Jahren hierstehen. Im körnigen gelbbraunen Sand, denn auch das erhellte das weiße, vertikale Licht.
Neugierig sah er sich rundherum um. Aber die Schwärze war nicht gewichen. Sie hatte nur dem weißen Lichtkegel Platz gemacht und gab keinen Zoll nach.
Enttäuscht widmete sich Steve wieder dem Spiegel und seinen roten Leuchtpunkten. Erneut ging er auf den Spiegel zu und plötzlich bemerkte er eine weitere Veränderung. Die roten Punkte bewegten sich im Rhythmus seiner Schritte. Sie schienen leicht zu schwanken, sobald er etwas in den Sand eingesunken war.
Steves Wunsch die Punkte zu berühren wurde stetig stärker, bis er es fast nicht mehr aushielt. Aber die plötzliche Tatsache, dass sie seine Bewegungen imitierten, gefiel ihm ganz und gar nicht.
Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen die Finger wieder gegen den Spiegel zu pressen und das Zittern der Punkte zu beobachten. Wie ein Kind, dass vor einem Aquarium stand, dachte er sich. Kurz darauf machte er eine weitere Entdeckung. Denn nun, da er unter dem weißen Lichtkegel stand, glaubte er hinter den glühenden Punkten eine Person stehen zu sehen. Sie stand reglos im Schatten und nur die ungefähren Umrisse waren zu erkennen.
Als ob sie sich vor ihm schämen würde. Sich vor ihm verstecken würde.
"Was - zum Teufel - passiert hier?", murmelte er sich selbst zu und als hätte die schwarze Person auf dieses Zeichen gewartet, trat sie einen Schritt näher. In den Lichtkegel. Und plötzlich wusste Steve, dass der Spiegel kein wirklicher Spiegel war, sondern eher ein FENSTER, das einen Blick auf seine Seele preisgab.
Schreiend stolperte er rückwärts, als er ein entstelltes Gesicht sah, dass eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hatte. Er viel in den schwarzen Sand und schaffte es nicht sein schmerzendes Herz zu beruhigen. Mit klappernden Zähnen vermochte er es eine Hand auf seine Brust zu legen, die sich ungeheuerlich schnell hob und senkte.
Und da spürte er die klebrige Flüssigkeit, die sein weißes Nachthem bedeckte. Steve musste nicht erst zurück in den Lichtkegel gehen, um zu wissen, dass die Flüssigkeit auf seiner Brust Blut war. Sein eigenes, so viel stand fest. Tastend glitten seine blutverschmierten Finger zur rechten Brust und spürte auch dort Blut.
Aber der Schmerz blieb aus, obgleich sie sich klar und deutlich in seinem Gesicht spiegelte. "Was geschieht mit mir?", schrie er in die Dunkelheit, die jedes seiner Wörter verschluckte, wie ein schwarzes Loch. Stöhnend richtete er sich wieder auf und vermied es peinlichst in den Spiegel zu blicken.
"Endlich bist du hier", dröhnte eine ihm unbekannte - und doch gänzlich vertraute - Stimme aus der Dunkelheit. Oder genauer gesagt aus der Dunkelheit IM Spiegel.
"Wer bist du?", rief Steve und wagte einen flüchtigen Blick. Die Person im Spiegel war wieder in die Dunkelheit gegangen. Nur ihr Umriss war zu erkennen.
"Ich selbst nenne mich Stephan, aber das weißt du ja bereits."
"Das kann nicht sein! ICH heiße Stephan." Steve war lediglich sein Spitzname. Jeder in SEINER Welt hatte einen!
"Komm näher", befahl Stephan und Steve kam näher. Er bemerkte nicht, wie der Sand festem Untergrund gewichen war. Er bemerkte auch die Geräusche in der Dunkelheit nicht, die von weiter Ferne an sein Ohr drangen. Letzendlich blieb Steve zwei Schritte vor dem Spiegel stehen.
"Wie ich sehe, bist du verletzt." Ein schwarzer Finger zeigte auf Steves blutverschmierte Brust.
"Das weiß ich auch", bemerkte er mit streitlüsternen Unterton.
"Wie ist das passiert?", wollte Stephan wissen. Sobald die Wörter von der Dunkelheit verschluckt worden waren, breitete sich eine unheimliche Stille zwischen ihnen aus. Die Geräusche aus der Ferne blieben.
Angestrengt dachte Steve nach, wie er verletzt worden war. Und warum er nicht in einem Krankenhaus lag! Nachdenklich fixierte er die verschmierten roten Leuchtpunkte im Spiegel und schüttelte dann den Kopf.
"Ich weiß es nicht", flüsterte er.
"Was soll das heißen, du weißt es nicht!"
"Das heißt, dass ich mich nicht mehr erinnern kann."
"Das ist schlecht", sagte Stephan mit monotoner Stimme. Das weiß ich auch, dachte sich Steve. Aber natürlich sprach er das nicht laut aus. Viel lieber hätte er einige seiner tausend Fragen beantwortet gehabt.
"Wo bin ich hier?", fragte er sich.
"In meinem Reich", antwortete Stephan mit unveränderter Stimme.
"Deinem Reich? Und wo genau soll das sein?" Steve war es egal, ob er sich gelangweilt anhörte. Er machte sich nicht die Mühe seine Langweile vor Stephan zu verbergen.
"In deinem Kopf. Deiner Fantasie. Du befindest dich an einem Ort, den ich selbst DAS FENSTER nenne. Durch es gelangst du in meine Welt. Nach Psychotopia!", erklärte Stephan und beim letzten Wort wurde seine Stimme lebendiger.

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