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Montagmorgen. Patrick tritt auf die Straße. Ein Tag wie jeder andere, denkt er und seufzt still. Der Himmel grau aber nicht gewittrig. Die Luft lau aber nicht zu warm. Der Druck des Riemens seiner Tasche auf der linken Schulter spürbar aber nicht allzu störend. Er macht sich auf den Weg zur Arbeit.

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Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Patrick Müller, 29 Jahre, alleinstehend, keine Kinder. Gelegentliche Beziehungen, heterosexuell, katholisch getauft, mit 20 aus der Kirche ausgetreten. Keine Vorstrafen, keine polizeilich bekannten Auffälligkeiten, keine längeren Auslandsaufenthalte. Abgeschlossene Ausbildung als Webdesigner. Seit fünf Jahren bei der Firma Web-D-Sign angestellt, für die Wartung von Webseiten und die Aktualisierung von Inhalten zuständig. In dieser Zeit jährlich eine kleine Gehaltserhöhung im Ausmaß der Inflation. Keine Aufstiegschancen, weder in der Vergangenheit noch in der näheren Zukunft.

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Patrick geht gemessenen Schrittes die Straße hinunter. Er nimmt denselben Weg wie immer. Er denkt an nichts Besonderes, hängt nur so seinen Gedanken nach. Er achtet nicht auf Einzelheiten, die heute irgendwie anders sind als sonst. Erst als ihn zwei starke Arme unter den Achseln packen und ein zweites Paar Hände seine Beine in die Luft hebt, genau in diesem Bruchteil einer Sekunde merkt er, dass etwas nicht stimmt. Zu spät, um sich zur Wehr zu setzen. Aus den Augenwinkeln nimmt er die dunkelblaue Farbe eines Lieferwagens und zwei vermummte Gestalten wahr, dann schrammt die Türe auch schon zu. Patrick sitzt in der Falle. Der Lieferwagen setzt sich in Bewegung. Patrick blickt beschämt zu Boden, wo sich eine lauwarme, gelbliche Pfütze gebildet hat. Seine Mutter wäre stolz auf ihn, wenn er heute sterben würde. Er hat sich heute Morgen frische Unterwäsche angezogen. Nur, dass das jetzt auch schon egal ist.

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Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Beschränkter Freundeskreis, der sich seit der Schulzeit kaum erweitert hat. Verschlossener Charakter, extrem introvertiert. Unauffällig. Starke Mutterfixierung, die das Kennenlernen von Personen weiblichen Geschlechts bzw. erfolgreiche Beziehungen zu letzteren zusätzlich erschwert. Lebt in einer 60m2 großen Wohnung zusammen mit der Mutter, die mittlerweile ein Pflegefall ist.

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Mit einem Ruck hält der Lieferwagen an. Patrick findet sich an die vordere Innenwand gepresst wieder, wo er vorsichtshalber verharrt. Er schaut sich nach einer potenziellen Waffe um, findet aber zu seiner Erleichterung nichts. Er ist froh, dass er sich nun nicht verpflichtet fühlen muss, um sein Leben zu kämpfen. Die Tür fliegt auf und eine der vermummten Gestalten stürzt sich ihm entgegen, stülpt ihm einen dunklen Sack über den Kopf und zerrt ihn mit sich. Patrick ist mit plötzlicher Gewissheit davon überzeugt, dass sie ihn jetzt vor ein Exekutionskommando stellen. Seltsamerweise verspürt er auch bei diesem Gedanken nur eine diffuse Erleichterung. Seit seiner plötzlichen Blasenentleerung hat er sich mit der Situation abgefunden.
Dann sind sie angekommen. Die Schritte verhallen dumpf wie auf bloßem Beton. Der Raum hat die Akustik einer riesigen, kahlen Lagerhalle. Es riecht nach Baustaub. Dann beginnen die bohrenden Frage. Er solle ausspucken. Reden. Oder singen. Auspacken. Die Karten auf den Tisch legen. Dann wieder reinen Tisch machen. Patrick weiß instinktiv, dass eine ganz bestimmte Antwort von ihm erwartet wird. Aber welche? Gut, denkt er, dass sie mein Gesicht jetzt nicht sehen können. Er lächelt. Er sollte um sein Leben flehen. Rotz und Wasser heulen. Patrick ist fasziniert. Zum ersten Mal seit Jahren hat etwas sein Interesse geweckt, ihn in seinen Bann gezogen. Obwohl er das Gefühl hat, im falschen Film zu sein, mit extrem schlechten Schauspielern, wartet er gebannt auf die Fortsetzung der Handlung.

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Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Verbringt den Großteil der Freizeit vor dem Fernseher. Keine anderen Hobbys. Besondere Vorliebe für Reality-Soaps einerseits und andererseits für Verfilmungen der Lebensgeschichten von Serienmördern und die Filme der Saw-Serie.

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Nach den Fragen kommen Drohungen. Dabei lässt man ihm die freie Wahl: Schmerz für sich selbst oder Schmerz für eine ihm nahestehende Person. Diese Bezeichung erscheint Patrick unpassend für seine Mutter, und doch ist sie die einzige, die die formalen Anforderungen dafür erfüllt. Patrick überdenkt die Alternativen und kommt zu dem Schluss, dass es auf diese Frage nur eine logische Antwort gibt. Diese Entscheidung könnte er völlig emotionslos treffen, aber er ist mittlerweile so von der Handlung gefesselt, dass er dem Verlangen nachgibt, mitzuspielen. Er bricht in Tränen aus, Krokodilstränen wohlgemerkt, und fleht um sein Leben und das seiner Mutter, bei allem was ihm heilig ist. Was genau das ist, bleibt sein Geheimnis. Diese Strategie führt zum Erfolg. Die Fragerei hat ein Ende. Pause. Stille. Schritte. Eine Stimme ganz nahe an seinem Ohr. Geflüsterte Zärtlichkeiten? Eindeutige Zweideutigkeiten. Zum ersten Mal am heutigen Tag entgleitet Patrick die Realität. Eine Hand in seinem Schritt. Eine Zunge an seinem Hals. Patricks Körper reagiert wie geplant, ohne seinen Verstand um Erlaubnis zu fragen. Patrick schwimmen die Felle davon. Er verliert die Kontrolle, und darauf ist er nicht vorbereitet. Jemand macht sich an seinem inzwischen geöffneten Hosenschlitz zu schaffen. Jetzt wäre Patrick froh, wenn seine Sicht nicht durch den Sack behindert würde. Gerade als Patrick vor der völligen und bedingungslosen Kapitulation steht, endet alles abrupt.

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Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Objekt sich in keiner Hinsicht vom demographischen Durchschnitt unterscheidet. Da keine besonderen Auffälligkeiten und Abweichungen vorliegen, kommt Strategie 1 (Todesangst und darauffolgende Euphorie) zum Einsatz. Diese Strategie verspricht den gewünschten Erfolg des Wachrüttelns des Objekts. Vorgangsweise wie üblich: Schritt 1 - Suggerieren einer lebensgefährlichen Situation mit Gewaltandrohung, Schritt 2 (nach dem Zusammenbruch des Objekts) sexuelle Stimulation o.ä.

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Patrick kommt auf einer Parkbank zu sich. Ausgesetzt. Er ist verstimmt über das jähe Ende der Geschichte. Es ist 10:23. Zum ersten Mal in seinem Leben erwägt Patrick, grundlos nicht zur Arbeit zu erscheinen. Er nimmt eine Bewegung neben sich wahr. Ein blondes Mädchen, sechs bis zehn Jahre alt. Patrick ist nicht gut mit Altersschätzungen im jüngeren Bevölkerungssegment. Er kann nicht umhin zu bemerken, dass dem Mädchen Tränen über die Wangen rinnen. Patrick ist im Begriff, sich abzuwenden um den weiteren Tagesablauf zu überdenken, da beschließt er aus einer Laune heraus, Interesse an diesem anderen Lebewesen zu zeigen. Möglicherweise haben ihn die Ereignisse dieses Morgens doch mehr aus der Bahn geworfen, als er sich eingesteht, rechtfertigt er sich vor sich selbst. Das Mädchen hat seine Mutter verloren. Schon wieder geht es um Mutter. Patrick beschließt dennoch, dem Mädchen zu helfen. Stundenlang, wie ihm scheint, fragen sie sich durch Cafes, Geschäfte und Bushaltestellen, der verlorenen Mutter auf der Spur. Das Mädchen hat sich schnell beruhigt, erstaunlich schnell. In Wirklichkeit sind erst 15 Minuten vergangen, als sie um eine Ecke biegen und Rettungswagen den Weg blockieren. Sie hören Sirenen, dann sehen sie eine gaffende Menschenmenge und das geschäftige Treiben der Rettungskräfte. Magisch angezogen dringen sie ins Zentrum des Geschehens vor. Seltsamerweise öffnet sich vor ihnen wie von selbst ein Korridor, so dass sie im nächsten Moment das ganze Ausmaß der Katastrophe sehen. Rot ist die dominierende Farbe. Triefende Fetzen einer feuchten, übelriechenden Masse, am Boden bereits mit Schmutz vermischt zu einer trockeneren Konsistenz. Eine dünnere Flüssigkeit von einem dunkleren, gedeckteren Rot fließt in schmalen, unregelmäßigen Rinnsalen auf den Straßenrand zu und versickert dort sang und klanglos. Dazwischen Inseln einer gallertartigen Masse, weißlich schleimige Spritzer und größere Wrackteile, meterweit verstreut über die gesamte Breite der Straße. Wie in Trance streckt das Mädchen die Hand diesem Horror entgegen, Handfläche nach oben, hilflos, nutzlos. Es ist nichts mehr zu retten. Um wenigstens irgendetwas zu tun, decken die Rettungsleute einen leblosen Körper zu und schaffen ihn weg. In dem Gegenstand, der im Dreck liegenbleibt, hat das Mädchen die Tasche seiner Mutter erkannt.

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Patrick, der die Handlung des heutigen Tages zunehmend seltsam findet, lässt sich bereitwillig mit dem Mädchen in einen Krankenwagen schieben. Er fühlt sich als Teil der Geschichte. Er möchte noch nicht nach Hause. Es ist dasselbe Gefühl wie als Kind, als er sich abends kaum vom Spiel losreißen konnte. Als die Welt ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten war und jeder Tag neue Abenteuer zu versprechen schien. Als er jeden Morgen in freudiger Erwartung aus dem Bett sprang, in dem sicheren Wissen, dass ihm niemals etwas Böses zustoßen würde. Eine bittere Sehnsucht nach damals erfasst ihn. Der süße Hauch der Wehmut nach den langen Tagen der Kindheit, nach diesem vergessen geglaubten Gefühl der Geborgenheit, des absoluten Vertrauens in das unweigerlich gute Ende, das jede Geschichte nehmen musste. Die Geheimnisse, die es zu entdecken galt, die große weite Welt, die es zu erobern galt. Das ganze Leben, das vor ihm lag und darauf wartete, mit wundersamen Abenteuern gefüllt zu werden. Dieser Lebenshunger. Was ist mit ihm passiert? Als der Krankenwagen losfährt, bemerkt Patrick durch den ungewohnten Tränenschleier nicht, dass er nicht den Weg zum Krankenhaus einschlägt, sondern in die entgegengesetzte Richtung fährt, stadtauswärts.

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Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Da bei dem Objekt allerdings ein gewisser Mangel an Empathie festzustellen ist, ist sicherzustellen, dass das gewünschte Ergebnis tatsächlich eintritt, um allfälligen Kundenreklamationen vorzubeugen. Sollte der Erfolg in Phase 1 nicht klar zutage treten, ist mit Phase 2 fortzufahren, d.h. das Erleben von Tod und Leben erfolgt ein zweites Mal, diesmal aus veränderter Perspektive.

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Splitstories

  • Patricks Durchschnittsleben nimmt eine plötzliche Wendung, als er auf dem Weg zur Arbeit in einen Lieferwagen…

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