Zweifel

Mamurluk hat einen Job. Er unterrichtet.
Mamurluk legt sich so richtig ins Zeugs. Mamurluk macht sich zuviele Gedanken. Seine Schüler und Schülerinnen sind jene, welche im Bürgerkrieg flohen oder von den Eltern endlich in die Schweiz geholt wurden. Mamurluk war schon lange bevor da. An diesen Kindern sah Mamurluk annähernd, was sein Bruder mitgemacht hatte. Entwurzelt mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn Jahre. Abgestempelt, nicht der Sprache kundig und die Eltern unbekannt. Beziehungsweise lebten die Eltern zum ersten Mal zusammen in einem Haushalt. Kulturelle Schockzustände. Schule. Keine Lehrstelle. Schliesslich Heirat mit einem Jungen aus dem eigenen Dorf und Kinder.

Mamurluk als Lehrerin in den Brückenangeboten kam an die Jungendlichen nicht heran. Der eine Junge will Rapper werden, sein Vater zahlt ihm ein Tonstudio in Kosovo. Er kommt nicht in die Schule. Keinen vollständigen Satz auf Deutsch bringt er zustande. Der andere Junge, ein Araber, kommt bekifft in die Stunde. Ein grosser hübscher junger Mann. Der andere, ein Kurde hat seine soziale Stellung akzeptiert. Der andere, ein Türke, dessen Mutter Schweizerin und gut verdient im Gegensatz zum Vater, bekommt einen Sprachaufenthalt in New York. Bildungsniveau auf der Stufe der 3. Klasse. Findet keine Lehrstelle. Und die anderen Kinder. Alle seit dem Krieg hier. Die Bildungspolitik führt irgendwelche Zweitklass-Lehrgänge ein. Die Lehren dauern ganze 3 Jahre, wobei man nicht weiss, was man ihnen im Fach noch beibringen soll. In den allgemein bildenden Fächern sind die Kinder schon fast traumatisiert. Mathematik als Unterrichtfach wurde gestrichen. Sie arbeiten. Sie wollen Rapper werden. Oder sie wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Der eine macht einen IQ-Test über Facebook und will Boxer werden, der andere hat reiche Eltern und bekam eine Wohnung geschenkt, der andere wiederum lässt sich etwas befummeln von älteren Männern, um Geld zu verdienen und die andere zieht einen fünf Jährigen Jungen auf, die andere leidet an allen möglichen Allergien und ritzt sich regelmässig übers Wochenende, wobei sie ihre Verletzungen am Montagmorgen zeigt und, damit sie den Verband nicht abnehmen muss, fotografiert sie die Wunden.

Zweitklasslehrgang, weil die Grundschule und Oberstufe etwas versäumt hat. Die Kinder trauen niemand. Die Kinder sind in Watte eingepackt mit ihren Kopfhörern und tief sitzenden Jeans und den Eltern, welche nie zuhause sind. Auch Mamurluks bester Freund war der Fernseher. Und die Schulleitung, welche es eigentlich gar nicht gibt, es gibt nur den Chef –typischerweise- die kennt nur ‚Gammen’: Durch ein überfallartiges Ziehen wird der Gegner aufgestellt, auf dass seine Körperposition möglichst gerade ist. Der Angreifer hängt mit dem linken Bein am rechten Bein seines Gegners ein und drückt, wirft ihn auf den Rücken. Oder sie kennt nur ‚Grittelen’: Das ist einer der Paradeschwünge von Jörg Abderhalden: Der Gegner wird angehoben, über die Schulter abgedreht und auf den Rücken geworfen. Oder gar die Methode von der ‚Souplesse’: Der Angreifer packt den Gegner von hinten mit beiden Händen –of course- um den Bauch sogar am Beinabschluss oder dem sog. Hosengurt. Mit einem explosiven Krafteinsatz wird der Gegner vom Boden abgehoben. Und! Gleichzeitig schleudert der Angreifer den Gegner über die eigene Schulter nach hinten, so dass dieser schliesslich auf den Rücken fällt. Und der Fussstich wurde bei Mamurluk angewendet: Der fängt mit einer Drehung mit dem linken Bein an, dann mit der rechten Fussspitze am linken Fussgelenk des Gegners –den Drehpunkt ansetzen- den Gegner mit der linken Hand hoch reissen und den Kopf nach rechts abdrehen. Der ‚Wyberhaken’ wird bei den neuen Kollegen angewendet: Dort versucht der Angreifer das rechte Bein seines Kontrahenten nach vorne zu locken (etwas schmeicheln). Sofern das gelingt, hängt er mit dem rechten Fuss am rechten Fuss seines Gegners ein (= Zeigen wer hier unverzichtbar ist.) Mit einer Drehung nach links legt er ihn auf den Rücken: Einen Schnaps?

Aber das ist der Lauf der Dinge. Die Welt ist zu gross und dann auch wieder zu klein. Die Hierarchien sind vielfältig. Wenn man in die Arbeitswelt eintritt, weiss man oft nicht, zu welcher Gruppe man sich gesellt hat und von daher wandert man schon von Anfang an auf einem dünnen Grat. Es ist dermassen viel Neues auf einmal und man hat viele neue Kollegen um sich und geht mit manchem einen Kaffee trinken und mit manchen sogar mehrere, bis man merkt, dass Sexualität immer im Spiel ist.
Über Pädagogik kann man sich streiten und über Anmache auch. Wie weit darf man gehen, ohne sich Probleme einzuhandeln? Wie freundlich, darf man sein?

In diesen amerikanischen Kriminalserien stimmt meistens nie etwas. Mozart war Deutscher. Fellini war Spanier und die Bösewichte sind Serben, die bei irgendwelchen Massakern mitgemacht haben in Bosnien und Albaner, welche irgendwelche Prototypen von Atombomben gestohlen haben, wessen Verhandler George Clooney oder ach, weiss weiss ich. Und Mamurluk hatte einen Job bekommen und Mamurluk hatte mit seinem Chef geschlafen und Mamurluk hat seine Stelle verloren.
Das ist ein Punkt für die Psychotherapie.
Mamurluk und die Männer.

Selbstmitleid, Wut und wieder Selbstmitleid. Das ist das Fliessband auf dem Mamurluk steht.
Wo Mamurluk unterwegs wäre hat ihn Pankraz neulich gefragt.
Als hätte Mamurluk ihm irgendetwas zu erzählen.
Oder als würde Mamurluk Schuld daran tragen, dass er stark depressiv ist. Nein, als könnte sich Mamurluk zusammenreissen. Nur Tränen wären die Antwort, aber diese kommen nicht und wenn sie kämen, dann wäre es ein Vorwurf. Also geht Mamurluk schlafen und Pankraz denkt Mamurluk entziehe sich. Es luftete so herbstlich. Er, Mamurluk, legte sich frisch geduscht, mit Mühe geduscht, ins Bett, öffnete die Balkontür, lag da und hörte dem kommenden Frühherbst zu. Es war ein Trost. Es ist ein Trost.
Gefühle zeigen? Ach Gott, ist das romantisch! Was könnten unsere Gefühle ausdrücken! Was könnten unsere Gefühle ändern, zumal wir gegen ein Gespenst allein antreten müssen. Mamurluk ist ein kurzsichtiger Cowboy.

Summary

Mamurluk sucht seinen Weg.

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Idea

die bösen