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SECHSHUNDERT IN EINER EINZIGEN NACHT

Also, wenn mir das jemand mal so ganz nebenbei prophezeit hätte, dass ich mir, wo ich doch schließlich Akademiker bin, für nur läppische 30 Euro einmal in der Woche - öfters wäre auch auf keinen Fall zu schaffen - die ganze Nacht um die Ohren schlage und mehr oder weniger tief schürfende philosophische Betrachtungen über die Briefkästen der Leute in meinem Kaff anstelle, hätte ich diesen Typen für absolut verrückt erklärt.
Aber ob ich es nun selbst glauben kann, oder will; ob ich es gut oder voll beschissen finde, spielt alles keine Geige; denn es ist Realität: Ich wurde in gewisser Weise, irgendwie von meiner Vergangenheit eingeholt.
Damals, ich war 12 Jahre alt, besuchte die 5. Klasse der Volksschule in meinem Heimatort, einem kleinen Städtchen an der Elbe, zwischen Hamburg und dem Riesengebirge, verdiente ich mir mein Taschengeld als Austräger einer noch heute sehr bekannten Hamburger Tageszeitung. Und heute nun, als alter 50-plus-Knacker, den man per landesbehördlicher Verfügung wegen seltsamer Verhaltensauffälligkeiten und offensichtlicher Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vorzeitig als auch vorsorglich aus dem Beamtenberufsleben entfernt hat, verteile ich, jeweils in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 600 Exemplare eines lokalen, kostenlosen Anzeigenblattes in die Briefkästen meiner Mitbürger, wobei mir das jeweils einzelne Erfolgserlebnis, den entsprechenden Briefkasten in der Dunkelheit zu finden und die Zeitung möglichst vollständig und unversehrt hinein zu bekommen, einen Bruttoverdienst von sage und schreibe 5 Cent beschert.
Ja, tatsächlich - obwohl, man glaubt es kaum: BRUTTOVERDIENST !
Ich musste mir nämlich eine weitere Lohnsteuerkarte auf dem Einwohneramt besorgen, weil von mir verlangt wird, dass ich diesen wahnsinnigen Verdienst, den mir mein Eine-Nacht-Wochenjob bringt, auch noch versteuern muss; und das, wo ich doch seit meiner Scheidung von Hanna in so eine beschissene, ungünstige Steuerklasse umsortiert wurde.
Da könnte man doch - oder viel eher sollte man sich fragen:
" WARUM TU ICH MIR DAS EIGENTLICH ALLES AN ?
NUN JA, ICH SEHE ES EINFACH MAL SO,
WEIL MAN IN DER HÖLLE NICHT ERFRIEREN KANN.
DIESE PERMANENTE SELBSTZERSTÖRUNG,
MIT DROGEN-, ALKOHOL- UND TABLETTENMISSBRAUCH,
IMMER AM RANDE EINES ABGRUNDS STEHEN,
UND DEN LETZTEN SCHRITT DANN DOCH NICHT GEHEN.
IN DEN HIMMEL ZU KOMMEN,
DARAN GLAUB ICH SOWIESO NICHT MEHR,
UND MEIN SPEZIELLES PARADIES
GIBT DOCH AUCH VIEL MEHR HER.

kANN ICH ABER JA AUCH TOTAL VERGESSEN,
DENN ICH HABE NUN SCHON ALLES AUSPROBIERT,
UND BIN VON BÖSEN GEISTERN UND BLUTIHGEN DÄMONEN BESESSEN.
IRGENDWIE MUSS ICH NUN ABER MAL CHARAKTERSTÄRKE ZEIGEN;
DARUM BLEIB ICH JETZT KONSEQUENT DABEI:
DRÖHN MICH WEITER MIT MEINEN PILLEN VOLL,
TRINKE EIN GLAS WEIN ODER 'N FLASCH BIER DAZU,
UND DENKE MIR,
WIE IST DAS ALLES TOLL!
SCHREIB WEITER MEINE ABGEDREHTEN TEXTE UND GEDICHTE,
OHNE DASS ICH MICH
AUCH NUR IRGENDWIE NACH DEM ZEITGEIST RICHTE.
BIS MICH DER SENSENMANN
HÖCHSTPERSÖNLICH AM SCHLAFITTCHEN PACKT,
UND DANN HAB' ICH NATÜRLICH ENDGÜLTIG AUSGEKACKT.
DOCH HIMMEL UND HÖLLE SEI DANK,
DAS WAR'S DANN !

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