Episode: Von Macuse nach Quelimane
Strenggenommen ist das hier gar kein Bus. Das Gefährt, das nun schon seit gut zwei Stunden über die Staubstraße ruckelt und durch die zahlreichen Schlaglöcher holpert, dass es mich jedes Mal zwanzig Zentimeter in die Luft hebt, würde man in Europa vielleicht als Kleintransporter mit offener Ladefläche bezeichnen, aber ich bin da kein Experte. Ich weiß nur, dass die Sonne unbarmherzig auf uns alle niederbrennt, der Sand sich bereits in sämtlichen Körperöffnungen und Hautfalten festgesetzt hat, und mir das Gesäß schon ganz schön weh tut, vom ewigen Auf und Ab. Meine Haare sind vom Fahrtwind verfilzt, obwohl unsere durchschnittliche Geschwindigkeit wahrscheinlich bei zwanzig Kilometern pro Stunde liegt. Mit diesem Problem stehe ich hier allerdings alleine da. Wie lange die Fahrt noch dauern wird, ist ungewiss. In der Chapa, wie dieses hier sehr beliebte, weil einzige, öffentliche Verkehrsmittel genannt wird, sind die rund 80 Kilometer bis Quelimane an einem Tag nur in einer Richtung zu bewältigen. Wer es eilig hat, sollte hier nicht einsteigen.
Wer es komfortabel liebt auch nicht. Die Fahrgäste sitzen und stehen dicht gedrängt, Mensch an Mensch. Stoßzeit in der U-Bahn ist ein Spaziergang dagegen. Wer hätte gedacht, dass auf so einer Ladefläche vierzig Leute Platz finden. Das erinnert mich an diese Showeinlagen, bei denen sich zwanzig Leute in eine Telefonzelle quetschen oder zehn Leute auf einem Fahrrad fahren. Hier macht das allerdings keiner zum Spaß. Ich habe natürlich einen Sitzplatz ergattert. Undenkbar, wenn ich stehen müsste. Das würden sie niemals zulassen. Frauen mit Babys am Rücken, alte Männer, Kleinkinder, sie alle müssen stehen, wenn sie zu spät einsteigen. Aber nicht ich. Für mich findet sich immer ein Plätzchen auf der niedrigen Seitenwand der Ladefläche. Es kommt gar nicht in Frage, dass ich meinen Sitzplatz jemand anderem anbiete. „Nein, nein, sitzen bleiben, Muzungo!“, kommt sofort der kollektive Aufschrei und alle heben beschwichtigend die Hände. Eh klar, ich bin ja nur eine Weiße. Gott behüte, dass ich hier vor lauter Hitze und Gerüttel den Löffel abgebe. Mir kommt langsam der Verdacht, dass sie mit diesen Befürchtungen womöglich nicht so unrecht haben.
Ich sitze also auf der harten Kante, die Füße längst eingeschlafen, die Hände gerötet vom Festhalten, und starre die anderen an, und die starren mich an. So verharren wir stundenlang und hopsen im Takt der Straße auf und ab. Auch wenn die Chapa so voll scheint, dass nicht mal mehr ein Huhn Platz hat, steigen immer wieder weitere Leute ein. Oder aus. Und das dauert jedes Mal. Denn wir, die wir hier unser kollektives Schicksal in die Hände eines Chapafahrers legen, der aussieht wie ein 16-Jähriger, sind in einer komplizierten, verschachtelten menschlichen Pyramide auf der Ladefläche aufgebaut, und wenn der Unterste raus muss, dann muss er eben raus. Das kostet Zeit. Ganz abgesehen von den Pannen. Obwohl eine Fahrt ohne Panne schon fast keine richtige Fahrt ist, scheint es alle hier jedes Mal völlig unvorbereitet und überraschend zu treffen. Nicht dass das jemanden besonders aufregen würde. Es kommt eben, wie es kommt.
Unterwegs halten wir öfter in kleinen Ortschaften, sprich Ansammlungen von einer Handvoll Lehmhütten. Dort warten sie schon auf uns. Die Straße ist gesäumt von Frauen, alten Männern und Kindern, die uns ihre Waren anbieten. Sie sitzen den ganzen Tag in der Hitze und warten auf die vorbeikommenden Busse. Eine Frau hat fünf hartgekochte Eier, ein wahrer Leckerbissen. Eier gibt’s hier nicht jeden Tag. Meistens gibt‘s Körbe voller Mangos, Kokosnüsse oder undefinierbare Teile von Hühnern. Die Mangos sind reif, saftig und süß, und haben nichts gemeinsam mit denen aus dem Supermarkt. Die Kokosnüsse auch nicht. Das ganze harte, trockene Zeugs ist hier noch weich und saftig und sie sind bis oben voll mit köstlicher, erfrischender Kokosmilch. Wenn alle Geschäfte abgewickelt sind, geht’s weiter.
Die Sonne sticht vom Himmel. Für mich ist sie der einzige Anhaltspunkt, um wenigstens ungefähr zu wissen, in welche Richtung wir fahren. Plötzlich halten wir wieder. Kein Ort weit und breit. Ringsherum nur Kokospalmen in langen, geraden Reihen, eine neben der anderen. Was ist los? Keine Ahnung. Alle beginnen auszusteigen. Wir müssen umsteigen, heißt es. Warum ist unklar, aber es interessiert auch keinen. Es ist eben so, wie es ist. Hier würde keiner auf die Idee kommen, sich zu beschweren, Erklärungen zu verlangen, oder gar sein Geld zurückzufordern. Das wäre auch ziemlich lächerlich, angesichts des fahrplanlosen, hemdsärmligen Chapafahrers. Er wird schon wissen, was er tut. Wir steigen also aus. Dann warten wir. Es soll eine andere Chapa kommen. Niemand zeigt Anzeichen von Ungeduld. Manche schlafen. Manche sitzen. Manche stehen. Wir warten. Ich bin die einzige mit einer Uhr am Armgelenk, aber niemand fragt mich nach der Zeit. Niemand denkt darüber nach, was er heute noch alles vor hat. Niemand hat etwas vor. Wir warten einfach und harren der Dinge. Schließlich kommt eine Chapa. Allgemeine Aufbruchsstimmung. Fragen, Diskussionen in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Einige steigen ein. Ich stehe unentschlossen herum. Ich weiß zwar wo ich bin, aber nicht wo sich im Verhältnis dazu mein Ziel befindet. Eine junge Frau tritt auf mich zu. Wohin ich wolle? Nein, das sei nicht die richtige Chapa. Sie bietet mir an, mit mir zu warten. Wir warten. Es kommt eine andere Chapa. Sie spricht mit dem Fahrer, deutet auf mich. Sie lachen. Der Fahrer nickt. Sie hilft mir, mein Gepäck aufzuladen und einzusteigen. Die Ladefläche ist voll, aber alle rücken bereitwillig noch enger zusammen. Sie starren mich an, ich starre sie an. So, es kann losgehen. Die Frau grinst mich zahnlos an, als freue sie sich, mir geholfen zu haben. Dann nennt sie eine Summe und streckt mir die Hand entgegen. Ich lege das verlangte Geld hinein. Es ist eben so, wie es ist. Die Fahrt geht weiter.
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Mit der Chapa dauert die 80 km lange Fahrt von Macuse nach Quelimane mehrere Stunden und man weiß nie…
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