Was für ein Tag. Müde sieht Nico einer Fliege dabei zu, wie sie immer wieder mit einem dumpfen plop an die Fensterscheibe summt, ohne auch nur zu verstehen was es mit dieser unsichtbaren Wand aufsich hat. Manchmal hat er das gleiche Problem. Nichtendenwollende Probleme der Klienten. Wenn er einen als therapiert aus der Kartei entfernt, kommen morgen zwei neue. Nicht das es ihn stören würde, im Gegenteil, er liebt das Geld das er verdient. Auch wenn die Hälfte davon jetzt seiner Ex gehört.
Andererseits liegt ihm der gesammelte Müll seiner vorwiegend weiblichen Anänger hin und wieder schwer auf dem Gemüht, zumal es meist die Sorgen frustrierter Managergattinnen sind, die sich ihrer komfortablen Lage kaum bewußt sind.
Tastend sucht er in der Ablage nach seinem Autoschlüssel ... Ach ja, den hatte er ja heute Morgen zusammen mit seinem Wohnungsschlüssel auf der Commode liegen lassen. Damit fing dieser schreckliche Tag an. Nicht nur den Schlüsseldienst mußte er mit seinem schwer verdienten Geld berreichern, nein er musste auch seinen nagelneuen Jeep Commander stehen lassen und in ein verdrecktes Taxi steigen, in dem es nach einer ziemlich turbulenten Nacht roch.
Natürlich kam er viel zu spät. Er hatte die ersten drei Kundinnen, wie er sie gern nannte, vertrösten müssen, die ihm das mit sterbenden Blicken quittierten.
Mit einem Ruck stand er auf und wollte gerade in seinen Mantel schlüpfen, als es sachte an der Tür klopfte. Als nach seinem dominanten "Herein" keine Antwort erfolgte, öffnete er selbst die Tür und sah eben noch den Zipfel eines Rockes und ein schwarz gestrumpftes zierliches Bein in einem ebenfalls schwarzem Pumps im Treppenhaus verschwinden.
Schlagartig wurde ihm sein 18:30 Termin bewußt ... Frau Wießner.
Stürzend riss er die Treppenhaustür auf . Dabei drängte er die zierliche Frau auf den Absatz hinau, die eben noch die Klinke in der Hand hielt. Sie drohte zu stürzen, doch Nico hielt sie gerade noch, den Arm um ihre Taille geschlungen, fest. Vom Stoß wirbelten ihre Haare ins Gesicht. Nico streifte ihr sie, immer noch haltend, aus dem Gesicht. Er blickte in das hoffnungsloseste Grün, das er jeh gesehen hatte.
Verunsichert wich Frau Wießner von ihm zurück: " B...bin ich hier richtig? Ich suche den Therapeuten..."
" Äh ja, das bin ich- Nico.", stotterte Nico und ließ die Dame los. Was war nur in ihn gefahren? Eine Kundin derart zu überfallen, zu berühren...Sie sah aber auch verdammt gut aus, so gut, dass es ihm schwer fiel, sie nicht anzustarren. Schlank. Blond. Groß. Fast makellos erschien sie ihm.
Sie bemerkte seinen Blick und senkte verschämt den Kopf.
Nico fing sich rasch: " Gehen wir hinein?"
Kaum merklich nickte sie und folgte ihm herein.
Nico setzte sich an seinen Schreibtisch und bedeutete Frau Wießner ihm gegenüber Platz zu nehmen: " So, Frau Wießner...", er blätterte in seiner Kartei, " Dies ist ihre erste Sitzung bei mir?" Blöde Frage, natürlich wusste er das. An SO eine Frau würde er sich gewiss erinnern, der Anstand halber fragte er jedoch. Sie nickte.
" Gut, wir werden jetzt eine 45minütige Sitzung abhalten und am Ende vereinbaren wir dann den nächsten Termin?"
"Okay.", hauchte sie und schlug die Beine übereinander, was Nico trotz des Tisches wahrnahm. Diese schönen Beine...
Er räusperte sich und fragte dann: "Ja, Frau Wießner, was führt sie zu mir?" Diese Frage hatte er sicherlich schon tausendmal gestellt. Er wurde rot, putzte umständlich seine Nase, da sie nichts sagte, sondern nur da saß und die so hoffnungslosen grünen Augen niedergeschlagen hielt. Sein Blick blieb an ihrem Hals hängen, schwanengleich. Er seufzte leicht, rutschte sogleich beschämt auf seinem Stuhl hin und her, nicht dass sie nun sein Seufzen gehört hat, wie unangenehm; er schneuzte sich nochmals. Sie fuhr zusammen, hob ihre hoffnungslos grünen Augen und blickte ihn wieder an, mit diesem Blick... "Wie bitte?" sagte sie leise. "Entschuldigen Sie. Ich..."
"Schon gut. Nehmen Sie sich Zeit."
Ein Wimpernaufschlag, vollkommen losgelöst von Zeit.
"Zeit, Herr Brauning, ist etwas, was ich nicht habe."
Er war in seinem Element und zu seiner Fassung zurück gekehrt.
"Wieso denken Sie, dass Sie keine Zeit hätten?"
Ein Beben schüttelte den feengleichen Körper dieser außergewöhnlich betörenden Frau.
" Wie kann ich Ihnen so etwas anvertrauen? Wie kann ich IHNEN vertrauen?"
Bäche aus nicht versiegenwollenden grünen Quellen rannen Ihre wohlgeformten Wangen hinab und sammelten sich spiegelnd in Ihrem Dekoltee.
"Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen machen. Ich unterliege selbstverständlich der Schweigepflicht."
"Also gut. Man behauptet, ich hätte meinen Mann getötet."
"Behauptet wer?"
"Die Familie meines Mannes."
"Nun gut, dass wäre dann tatsächlich ein Fall für die Polizei ..."
Augenblickliches Schluchzen ließ Nico innehalten. Dieses zerbrechliche Geschöpf sank förmlich in sich zusammen und drohte vom Sessel zu rutschen. Augenblicklich war er an ihrer Seite. Vorsichtig schob er seinen Arm unter ihre Taillie und hob sie zur seitlich stehenden Couch. Federleicht war sie und der Duft erinnerte ihn an Fresien.
"Nicht doch, eine Behauptung hat noch niemanden ins Gefängnis gebracht. Haben Sie ihn umgebracht? Verzeihen Sie meine Direktheit."
Flüsternd, "ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass ich ihn geliebt habe und jetzt ist er tot."
Nico bemerkte erst jetzt, dass er immer noch neben ihr vor der Couch kniete. So hatte er sich bei seinen Sitzungen noch nie verhalten. Er bemühte sich um Abstand, es gelang ihm nicht er konnte diese Nähe nicht verlassen.
"Was denken Sie, warum sie es nicht wissen?"
"Weil ich verrückt bin."
Da war sie wieder, diese Hoffnungslosigkeit.