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Felix wischte sich mit dem Ärmel Chipskrümel von seinem Mund. Jetzt lief seine Lieblingsstelle bei "Frühstück bei Tiffany". Die Szene, bei der Holly im Affekt die Katze im Regen aussetzt. Wie immer schossen Felix Tränen in die Augen und er war zutiefst gerührt, doch diesmal folgte seinem emotionalen Ausbruch noch ein heftiger stechender Schmerz in seine Seite. Er bekam keine Luft mehr und konnte sich nicht mehr bewegen. Sein ganzer Körper zitterte und bäumte sich ein letztes Mal kurz auf - und Felix starb. Starr und leblos blickte er nun an die Zimmerdecke. "Wie trostlos eine blanke Glühbirne als Deckenlampe sein konnte", dachte er sich.

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Sein Geist war klar wie schon lange nicht mehr und er spürte eine unglaubliche Leichtigkeit. Er fühlte sich richtig gut. Die Last seiner Körpermasse und Lebenssituation drückte nicht mehr auf seine Seele und er fühlte sich befreit von seinen physischen Leiden - was war geschehen?

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Verwundert bemerkte Felix, dass er sich auf die Decke zu bewegte. Nervös ruderte er mit Armen und Beinen, sein Schwerpunkt schien sich zu verlagern und schließlich drehte sich sein Körper halb um die Längsachse - und da sah er sich selbst mit versteinertem Blick auf dem Sessel sitzen.

Er erschrak nicht. Er war nicht entsetzt und Sorgen kamen ihm auch nicht auf. Er verstand schnell, was er vor sich sah. Es war sein eigener toter Körper, in seinem Lieblingssessel, vor seinem Lieblingsfilm sitzend - und jetzt war er wohl auf dem Weg in eine andere Welt.

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Nicht unzufrieden mit dieser Situation, neugierig und etwas aufgeregt über seine ungewisse Zukunft, wendete er sich von seiner Leiche ab und schwebte weiter nach oben. Doch plötzlich gab es einen Stoß!

Seine Aufwärtsbewegung wurde gestoppt. Wie ein mit Gas gefüllter Luftballon taumelte er neben der Zimmerlampe an der Decke und sein Aufstieg ins Irgendwo wurde unterbrochen. Seine Materie, Energie oder was auch immer brauchte für die Reise wohl eine freie Bahn. Er dachte kurz über die vielen Toten in den Särgen der Friedhöfe nach, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder und konzentrierte sich voll auf sein Dilemma.

"Ich muss nach Draußen kommen!" sagte er leise vor sich hin. Seine Fenster und die Eingangstür waren verschlossen. Wäre er noch am Leben würde Panik in ihm aufkommen - aber er blieb ganz ruhig. Er blickte auf seinen kalten Leichnam und dachte darüber nach, wie das alles passieren konnte und was er hätte anders machen können. Er entsann sich einer Traurigkeit.

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Einige Zeit verging und wie in Zeitraffer beobachtete er, wie sein Körper verweste. Er hatte kein Zeitgefühl und keine Vorstellung davon wie lange er schon auf seinen verstorbenen Körper starrte - da polterte es heftig an der Tür. Es krachte erneut und die Tür flog aus den Scharnieren. Drei Männer, es waren Feuerwehrleute, stürmten in seine Wohnung. Er sah die entsetzten Gesichter der Männer und einer hielt sich die Hand vor den Mund. Im Flur des Mietshauses erkannte er seine Exfrau Linda - sie schrie kurz auf und wandte sich ab.

"Dich habe ich schon Jahre nicht mehr gesehen", dachte sich Felix. "Jetzt aber los!", murmelte er und ihm war, als hätte ihn einer der Feuerwehrleute gehört. Er fuchtelte und strampelte mit allem was er hatte und bewegte sich langsam auf die Eingangstür zu. So schien es zu funktionieren.

Er gelangte zügig zum Türrahmen. Er freute sich darüber wie leicht es ihm fiel, und auf einmal befand er sich im Gang direkt über seiner Ex. "Wenn sie weinte, sah sie immer besonders hübsch aus" überlegte er kurz. Jetzt musste er nur noch zum Fahrstuhl gelangen und warten bis ihn jemand benutzt. "Ich liebte Dich!" flüsterte er Linda zu. Sie erschrak, hörte abrupt zu weinen auf und rannte wie vom Teufel geritten in Richtung Fahrstuhl. "Sehr gut!" schmunzelte er in sich hinein.

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Er bekam allmählich den Dreh raus und konnte ihr gut folgen. Nervös drückte Linda den Fahrstuhlknopf und der Fahrstuhl öffnete sich sofort. Sie eilte hinein, drückte auf Erdgeschoss und verkroch sich in eine Ecke der Kabine. Felix schaffte es ohne Probleme dazu zu gleiten. Jetzt waren sie beide alleine. Er betrachtete sie und alter Hass kam ihm hoch. Sie war schweißüberströmt und atmete hektisch. Er überlegte kurz, nahm seine ganze Willensstärke und schrie ihr ins Gesicht "Du hast mich betrogen!" Ihre Haare bewegten sich leicht im Schall seiner Worte. Sie wurde kreidebleich und sackte in die Hocke. Die Fahrstuhltür öffnete sich und sie ergriff die Flucht. Er konnte sich an ihrem Haar festhalten und sie zog ihn bis nach Draußen ins Freie.

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Er ließ sofort los und schwebte wieder nach oben. Aus größerer Distanz konnte er sie immer noch rennen sehen. Dann drehte er sich herum und flog in eine neue unbestimmte Zukunft.

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Als er etwa die Höhe der Wolken erreicht hatte, spührte Felix wie ein leichter Sog an ihm zupfte. Erst sachte, dann stärker und mit einen Mal saugte ihn irgend etwas derart an, dass er wie eine Rakete nach oben schoss, direkt in eine dicke graue Wolke hinein. Es war warm in ihr und überall leuchteten bunte Lichter. Er blickte sich um und sah verschiedenste Fraben und Formen. Er selbst war rot und seine Form war länglich und schmal. Er fühlte sich nicht mehr einsam. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte er sich nicht mehr einsam. Er war vereint. Mit Allem und Nichts. Es war das schönste Gefühl, dass er je hatte und er fragte sich, warum er seinem Leben nicht schon eher ein Ende gesetzt hatte. Er fühlte sich ein bisschen, wie in einer Badewanne mit schönen, warmen Wasser und samften Schaum. Gerade begann er sich gehen zu lassen in diesem wohligen Gefühl der Zusammengehörigkeit, da spührte er wie etwas an ihm drückte. Es drückte von oben und saugte von unten. Wie ein schwerer Stein fiel er zurück auf die Erde und als er die Augen öffnete sah er eine lange rosa Zunge, die ihm gerade stinkenden, grünen, salzigen Schleim von der Gusche leckte. Er erkannte eine Tiernase und einen Kiefer von gigantischem Ausmaß. Es stank fürchterlich und er hörte das quieken vieler kleiner, stinkender Racker um ihn herum. Irgendetwas kratze ihn, es waren die Krallen seiner neuen Geschwister und als er, von der rosa Zunge angestupst, wegkullerte, da erkannte er was seine Mutter war.
"Mein Gott, ich bin eine Hyäne" dachte er voller schrecken.

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