Mobile Version Disable hint

Das laute Dröhnen von etwa zwei Dutzend Leuten drang an seine Ohren, als Markus die knarrende Treppe hinunter ging. Es war sein 16ter Geburtstag. So alt und trotzdem wurden immer wieder kitschige Feste abgehalten ,die das Peinlichkeits-Barometer ziemlich schnell in die Höhe trieb.
Die meisten Peinlichkeiten hatte er wohl seiner Mutter, Barbara, zu verdanken. Konnte sie nicht einfach einsehen, dass er kein "kleiner" Junge mehr war? Wahrscheinlich wird sie wieder meine Freunde eingeladen haben, die sich später schief und krum lachen werden, dachte er sich mit wehleidigem Blick.
Schließlich stand er am Ende der Treppe und nur noch eine der alten, quietschenden Uralttüren trennte ihn noch vom Raum der Peinlichkeit! Die Tür war wie jede andere Tür auch. Gut etwas sonderbar, wenn man von den Schnörkel und dem - zu einem Schneckenhaus zusammengerollten - Eisengriff einmal absah. Also hätte er auch keinen Grund haben müssen sich zu fürchten oder dieses flaue Gefühl in der Magengrube zu spüren. So als hätte er etwas falsches gegessen.
Unentschlossen ging er auf die Tür zu. Sie war verschlossen. Dumpf waren die Geräusche der Gäste zu hören, die sich lautstark über irgendwelche Nichtigkeiten unterhielten.
Aber Markus hörte nichts dergleichen. Je näher er der unscheinbaren Tür kam, desto stärker wurde seine Angst. Die Schnörkel schienen ihn anzuschreien: "Mach sie auf! Mach sie auf!" Im Grunde hatte Markus das auch vor, aber er verstand einfach nicht warum er sich vor so etwas Simplen fürchtete.
"Markus!", hörte er plötzlich Alina rufen. Markus hingegen zuckte erschrocken zusammen, bevor er sich seiner Sandkastenfreundin zuwandte. Er sah ihr lange in die blauen Augen. Dann lächelte sie ihm aufmunternd zu und schlang die Arme um seinen Hals.
"Alles, alles Gute zum Birthday...", miaute sie und drückte ihm einen flüchtigen Kussa uf die Wange. Er wurde leicht rot, aber es hielt sich in Grenzen.
Die Angst um die Tür war noch immer nicht verflogen und sein Magen rumorte noch immer. "Hmm... danke", murmelte er in sich hinein und blinzelte kurz zur Wohnzimmertür hinüber. Sie war noch zu, aber die Schnörkel schrien von neuem.
"Sag mal Markus, gehts dir nich gut?" Alina sah ihn besorgt an. "Du bist ja ganz weiß im Gesicht."
Stammelnd wandte er sich wieder seiner Freundin zu. Was sollte er sagen? Die Wahrheit? Wohl kaum! Wie würde sich die Wahrheit schon anhören? Dass er Angst vor einer TÜR hatte. Wie peinlich. Doch bevor er auch nur irgend eine Entschuldigung für sein kalkweißes Gesicht parat hatte, rief erneut jemand seinen Namen.
"Markus! Da bist du ja endlich. Happy Birthday, Kumpel." Es war Tobi. Sein bester Freund. Diesmal brachte Markus ein Lächeln zustande. Auch wenn es aufgesetzt und gekünstelt wirkte. "Danke", erwiderte Markus und sah wieder zur Tür hinüber.
Irgendwie schien sie seinen Blick immer und immer wieder anzuziehen. Wie ein Geldschein, der auf der Straße lag und darum flehte beachtet zu werden, dachte er sich mit einer erneuten Angst-Attacke.
"Ähm... Markus alles in Ordnung?", wollte Tobi wissen. Misstrauisch sah er ihn an, so als ob er gleich sagen würde: "Wenn du kotzten musst, dann geh bitte aufs Klo!" Aber er blieb still. Genauso wie Alina. Beide sahen ihn nur fragend an.
Jetzt musste sich Markus etwas einfallen lassen. Irgendetwas plausibles, dass sein schlohweißes Gesicht erklären würde. "Muss wohl was falsches gegessen haben", flüsterte er seinen beiden Freunden zu. Wenn das nicht plausibel genug war, dann fress ich nen Besen, dachte er sich, während er all seine Willenskraft zusammen nahm und ein ernst gemeintes Entschuldige-Lächeln aufsetzte.
Tobi und Alina nickte nur, um so ihr Verständnis auszudrücken und gingen dann auf die Wohnzimmertür mit ihren schreienden Schnörkeln zu.
Markus hätte beinahe geschrien: "Wartet! Nicht da durch! Hört ihr sie nicht schreien?" Aber dann besann er sich eines besseren und unterdrückte den Impuls seine Freunde aufzuhalten.
Schließlich war es ja nur eine Tür. Eine verdammte, verschnörkelte Wonzimmer-TÜR, die ihm trotzdem eine höllische Angst einjagte.
Zogernd machte er ein, zwei Schritte vorwärts. Dann blieb er leicht zitternd stehen.
Tobi drehte sich als erstes zu ihm um. "Markus, wenn du kotzten musst, dann geh JETZT aufs Klo", forderte er ihn auf. Nun sah auch Alina zu ihm zurück.
"Nein, geht schon." Er wollte sicherlich nicht vor seinem besten Freund wie ein Weichei wirken. Den kümmerlichen Rest, den Markus Mut nannte, zog er nun zusammen. Dann Schluckte er, während er die schwitzigen Hände ballte.
Schritt für Schritt kam er näher. Dann stand er unmittelbar vor der Tür. Die Schreie der Schnörkel hatte eindeutig nachgelassen. Sie waren zwar noch da, aber so, als hätte man die Lautstärke drastisch hinuntergedreht. Die Geräusche der anderen Gäste waren vollkommen verblasst. Deren Lautstärke war stand wohl auf Null!
Bevor er jedoch unter dem Rahmen hindurchschritt und das Wohnzimmer betreten konnte, begann die Luft im Rahmen - zwischen Flur und Wohnzimmer - zu flimmern. Unwillkürlich musste Markus an eine Straße im Hochsommer denken, auf der die Luft auch flimmerte.
Tobi und Alina verschwammen zu verzerrten, schemenhaften Umrissen.
Plötzlich glaubte Markus ganz nah einen Raubvogel kreischen zu hören. Verdutzt blinzelte er das Flimmern an, dass immer stärker wurde.
Doch anstatt sich davon abzuwenden. Das Heil in der Flucht zu suchen, tat er das Flimmen als Halluzination ab. Vielleicht hervorgerufen von dem falschen Essen, dass ich gegessen hab, überlegte er und glaubte nun selbst daran, etwas verderbliches zu sich genommen zu haben.
Und dann trat er durch den Rahmen hindurch.

Open

Splitstories