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Der brave Soldat schweigt.

Es war einer der Tage im Panzer. Einer der Tage mit Panzer. Einer der Tage mit Stacheln dran die sich tief eingraben ins suchende tastende Fleisch. Blutrunst, Schreie, Unglück platzten und eiterten aus jedem Büro– und doch nannten es alle Frieden.

„Was wird das Leben erst für ein Schlachtfest wenn sie zu den echten Waffen greifen, denen die auch der Körper spürt?“ fragte er sich an jenem Tag – und dann fragte er nichts mehr.

Nicht nach dem Weg, nicht wie es geht nicht ,wie es steht, sich nicht was er sät.

Wenn sein Mädchen ihn umkoste, kostete, umtoste schwieg er. Bis sie ging.

Wenn sein Stammbaum ihn schüttelte schwieg er. Bis sein Zweig brach.

Wenn ein Busfahrer ihm seine Existenzberechtigung in dem blechumhüllten Stück Luft bescheinigte ging das auch ohne Worte.

Nach einer Woche war ihm nach Schreien. Nach einem Monat war ihm zum Weinen. Nach einem Jahr war ihm alles gleich.

Und nach sieben Jahren war sein Mund eine Klaffschlucht, ein schwarzes Loch, ein Orkus, ein Höllenschlund, ein Mahlstrom der sich nur auftat um das täglich zum Tod verurteilte Tier- und Pflanzenwerk hinabzubreien.

Wenn jemand grüßte knurrte er. Wenn jemand lachte fauchte er. Wenn jemand fragte wie er die die neue Editors-Single fand und ob er vielleicht mal sein Autogramm von Jarvis Cocker sehen wollte biss er zu. Bis man ihn mied. Bis man dachte er spann. Bis man Gründe erfand, ihm selbst die Schuld an seinem vermeintlichen Unglück in die Schuhe zu schieben, Bis man ihn vergaß.
Wovon er lebte, wie er Vorstellungsgespräche führte oder bei Burger King bestellte – er hat es nie verraten.

Nun also jetzt.

Sieben Jahre schweigen. Sieben Sommer sieben Herbste sieben Frühlinge sechs Winter. Kein Wort. Die Außenhaut wie aus Blei gegossen. Der ganze Körper Silikon, an dem die Welt abperlt.

Die Wände im Hauptsaal seines Hauses hat er mit pechdunklem Onyx ausgekleidet. Dienstags um 17 Uhr 13 schüttet er stets einen Eimer rote Farbe an die zerrachelte schwarze Ostwand seiner fensterlosen Wohnkirche. Er schätzt es wie die Farbe abschwappt und am Boden zu dehnbaren Lappen gerinnt.
In diese Lappen rollt er sich ein, Dienstag abends um 21 Uhr 41. Zwei Löcher für die Nase. Und denken. Schweigen. Glatte fordernde Kälte am ganzen Leib. Schwarz-rote Träume träumen, in denen Gold nichts verloren hat.

Ein kleiner Hund sitzt in einem Brunnen. Maden quellen aus seinen Augen. Er frisst sie. Ein kleines Mädchen im roten Kleid fällt in den Brunnen. Er frisst sie. Die Sonne trieft wie roter Dotter in den Brunnen. Er frisst sie. Bis er ein großer Hund wird. Bis der Brunnen birst bis die Erde reißt bis der Weltenköter räudig und allein durchs All treibt und blutrotes Abendsonnenlicht sich Bahn zwischen seinen Borsten bricht. Bis das letzte Licht aller Welten zottelig und aufgebläht ins Nichts trudelt.
Und nichts je wieder gesehen war.

Bis er aufwacht und sich nicht mehr wundert dass nichts mehr gesehen war in seiner fensterlosen schwarzen Kirche und mit Farbe auf den Augen. Bis er sich mürrisch Furchen in Gesicht und Körperfarbe gräbt und sich entschlackt.

Wie jeden Mittwoch Morgen schaltet er die taubenblauen Steinlampen an, weckt die Glühwürmchen in ihren Gläsern. Wäscht sich im kristallwasserklaren Taufbecken, wohlig kauernd wie ein Fötus.

Wie jeden Mittwoch Morgen holt er seine Coco Pops aus dem Tabernakel.

Alles ist wie immer. Wie sonst. Wie es sein sollte. Wie sollte es auch sonst sein.

Wenn er den Messbecher an die Lippen führt, sein Gebiss das frohe degustive Kindheitserinnerungen malende Süßkorn mahlt, wenn die Glühwürmchen flirren und das Taubenblau der Steinlampen sich ins satte Schwarz ergießt denkt er vielleicht. Kann doch sein.
In den Köpfen der Menschen ist alles möglich, alles wahr. So lang sie ihre klabauternden Kopfklänge nicht wie die Meisten an der rauen Echtheit abreiben die sie so zwangsläufig umgibt.

Also sitzt er Mittwoch morgens in seiner schwarzen Taubenblaulichtkirche. Und denkt vielleicht. Vielleicht denkt er wie viel er doch mit Menschen spricht - ohne zu reden.
Seine Sprache ist nicht Silber aber Geld. Seine Sprache ist lächeln. Seine Sprache ist zucken und rücken, rennen und bücken. Seine Sprache ist Kleidung seine Sprache ist Bus fahren und lesen und runzeln und kaufen und sitzen und sehen und sein.
So sehr er auch seine Außenhaut tefloniert – die Welt hackt sich hinein. Und er saugt genüsslich wenn er sich traut. An guten Tagen. An Tagen an denen der Himmel ein Ständchen summt das nur er hört. An Tagen – wie vielleicht heute? Noch weiß er es nicht, noch ist es wie immer schwärzester Morgen in seinem Gotteshaus.

Alles was menschen- oder sonstwasgemacht ist spricht zu ihm- ein unablässiger meist schweigender murmelnder Monolog der Dinglichkeit und unwiderruflichen Verortung. Je nach Kleidung und Örtlichkeit kann ihm ein wildfremder Mann etwa durch einen Blick sagen:
„Ich bin ein Bäcker – hier ist meine Ware. Du kannst daraus deine Auswahl treffen. Es ist alles hier für dich. Gib mir Geld und ich gebe dir Brot. Gib mir mehr Geld, und ich gebe dir meinen Laden. Gib mir noch mehr Geld, und ich werde dir meine schönste und jüngste Tochter überreichen ­ schwimmend in einer Badewanne voller Ungeziefer, Golddukaten und kopulierender Nacktmulle. Ich kann das alles tun. Ich werde alles tun. Nenn mir eine Zahl. Eine Zahl macht dich zu Gott zum Herren über Leben und Tod, zum triefenden Schöpfer von Elend und Verzückung - nenn mir eine zahl NENN mir eine ZAHL - NENN MIR EINE ZAHL!!!!“ Wenn Du das Urk aus dem Neolithikum erzählt hättest...

All das könnte er denken – denn ja der Strom der Dinge und Gedanken ist unablässig und unerschöpflich. Er durchdringt alles- und steht doch stets schweigend da in unentwirrbar irisierender unendlicher Vielfalt, die in jeder einzelnen Sekunde in ihrer Gesamtheit das Gehirn des denkensten Wesens unserer Dimension zu Matsch gerinnen lassen könnte.
Wie seine Coco Pops – er hat wohl zu lang gedacht. Jetzt erhebt er sich, greift die Schüssel, schüttet sie am Rand des Lichtkreises aus, wendet sich kurz ab vom steten Murmeln des Seins, kramt einige bunte Glasmurmeln aus der Tasche seines sternenbestickten Priestergewands , lässt sie klirrend und klappernd über die Fliesen ins Dunkel tanzen, hebt den linken Zeigefinger in die Höhe, schlägt auf der Zehenspitze des rechten Fußes zwei Pirouetten nach links, eine nach rechts, lacht glockenhell in die Stille, macht eine Verbeugung fürs stumm applaudierende Nichts – und schlägt Räder quer durch die Wohnhalle – eine wirbelnde Wolke aus Stoff und Gliedmaßen – bis zum Portal.

In den Jahren des Schweigens ist ihm das Tor bisweilen größer und größer, schwerer und schwerer geworden. In den dunkelsten Stunden hat er sich mit aller Kraft gegen das zerschrundene klaffende Holz gepresst, Splitter in die trommelnden Handballen gegraben, die über Wochen herausgeeitert waren – gerührt hatten sich die Flügeltüren in der Form aschschwarzer Engelsschwingen nicht.

Anders heute – oder? Moment – ja – anders heute. Ein sanfter Stubser mit den Fingerspitzen – die Flügeltüren schwingen auf – und Gott oder Licht oder beides gleißt alle Sinne raubend herein. Die Welt taucht ihn sekundenlang, bevor sie Gestalt annimmt, in einen strahlenden frühlingsduftenden Gruß - in den Augen röhrend wie celestrischer Posaunendonner.

Immer ist er da, der Himmel, kann er denken, immer ist er hier, er reicht unsichtbar bis zur Erde - immer wandeln wir hindurch, atmen ihn, durchtauchen ihn – bei jeder Bewegung umweht er uns sanft. Streichelt jede Zelle, liebkost unsere Ecken und Rundungen ohne Unterschied. Und wie danken wir es ihm? Das scheint ihm gänzlich gleich zu sein.

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