Lena stand in der Schlange beim Check in am Flughafen von Fort Meyers, Florida, USA. Genervt wedelte sie mit ihrem Flugticket vor ihrem Gesicht hin und her, wie um sich Luft zu zu fächern, obwohl es nicht heiß im Flughafen war. Ganz und gar nicht. Schließlich gab es ja eine Klimaanlage. Überall Gequatsche. In allen möglichen Sprachen. Hier- und da meinte Lena sogar deutsche Stimmen auszumachen. Es gab viele deutsche Einwanderer in Florida- und sie gehörte auch dazu. Es war ungewohnt sie hier sprechen zu hören, aber auch eine gute Eingewöhnung für Düsseldorf, ihr Reiseziel. Nun ja, eigentlich etwas außerhalb von Düsseldorf, mehr ländlich. Dort, wo ihre Großeltern lebten. Sie seufzte. Eigentlich hatte sie keine sonderliche Lust rüberzufliegen, aber sie hatte schon das Begräbnis von ihrer Großtante Lieschen verpasst. Die ganze Familie würde da sein. Natürlich warteten sie auch alle darauf, dass Lena ihnen endlich ihren amerikanischen Freund vorstellte. Eigentlich hatte sie nur ihrer Schwester Janina von ihm erzählt, doch die hatte ihre Klappe mal wieder nicht halten können und nun war ihr Freund Aaron anscheinend Gesprächsthema in der Familie. Lena missfiel das sehr. Gedankenversunken starrte sie vor sich her, als sie Aaron ausmachte, wie er mit zwei Kaffe auf sie zusteuerte. Wie würde ihre Familie wohl darauf reagieren, dass sie mit einem, wie ihr Bruder Arnold es sicher ausdrücken würde "maximal pigmentierten" ausging? Was für Bezeichnungen würde ihre Oma Hannelore wohl für Aarons Hautfarbe haben und in wie fern würde Aaron sie verstehen? Er sprach kein Wort Deutsch, das war ein weiteres Problem. Hannelore und Fritz, ihre Großeltern mütterlicherseits, bei denen die Veranstaltung stattfinden würde, sprachen vielleicht sogar eins, zwei Wörter Englisch, aber Winnifried und Mathilde, die Eltern ihres Vaters sprachen höchstens Russisch oder Französisch. Und Mathildes Schwester Steffanie? Die hörte doch kaum noch etwas.
Schwach lächelnd nahm Lena den Kaffe an und bedankte sich. Aaron gab ihr einen ermutigenden Kuss auf die Stirn. Er wusste, was in ihr vorging.
Rauchend stand Tess am Bahnhof und wartete mürrisch auf ihren Zug. Schon 20 Minuten Verspätung. Kein Wunder bei dem Wetter. Sicherlich würde bald ihre Mutter anrufen, oder Opa Winnifried? Sie verdrehte die Augen. Für sie war es eher umständlich jedes Jahr zu diesem Familientreffen zu fahren. Es fand bei den Großeltern ihrer Cousine Lena statt. Ihr Vater war der Bruder von Lenas Mutter. Von Lenas Geschwistern konnte Tess Lena immer noch am besten leiden, doch die war mittlerweile nach Florida ausgewandert. "American Dream"- wer träumte nicht davon? Ob sie es zu dem Fest schaffen würde? Schließlich flogen einige Flüge um diese Jahreszeit nicht, doch Oma Mathilde hatte angekündigt, dass Lena kommen wolle und das deshalb auch Tess nicht über die Zugfahrt maulen sollte, schließlich käme Lena ja noch von viel weiter. Angeblich wollte Lena sogar ihren amerikanischen Freund mitbringen. Tess überlegte, was sie sich unter diesem geheimnisvollen Aaron vorstellen sollte, sie hatte bisher noch kein Foto gesehen.
Sie fuhr sich durch ihr kurzes schwarzes Haar, mit dem leichten violetten Schimmer, den ihr ihre Friseuse beim letzten Besuch unbedingt hatte andrehen wollen. Ihr Haar war zerzaust, denn der Wind hatte stark geweht.
Lena und Aaron. Wieder ein neues Pärchen- und sie würde wieder die Einzige bleiben, die an jenem Abend als Single auftreten würde. Sie seufzte und versuchte nicht daran zu denken. Außer ihrer Großtante, oder wie nannte man die Schwester seiner Oma?, und den jüngeren würden alle als Pärchen erscheinen. Mit Ausnahme von Arnold, ihrem Cousin, der auch ziemlich merkwürdig war.
Auf dem Fest würde Tess natürlich so tun, als würde es ihr nichts ausmachen, doch innerlich wusste sie, dass es an ihr nagte, dass sie es nicht schaffte eine feste Beziehung aufrecht zu erhalten, die wenigstens bis Dezember ging!
Als ein neuer Windstoß vorbeizog, ärgerte sich Tess, dass sie ihre dünne Lederjacke ihrem Wintermantel vorgezogen hatte.