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Es ist Nacht.
Nicht eine Wolke bedeckt den Himmel, und doch ist es unmöglich, den Mond oder die Sterne auszumachen. Das unendliche Schwarz wirkt bedrohlicher als alles andere, was er je in seinem Leben wahrgenommen hat. Es ist als verliere man sich in einer nicht endenden Kälte, die alles und jeden umschlingt. Das sonst so penetrante Zirpen der Grillen ist diese Nacht verschwunden, es scheint als sind sie den Sternen gefolgt. Als wüssten sie, dass etwas Schreckliches passieren würde.
Ein schmunzeln glitt über seine Lippen. Es war wieder soweit.
Langsam und bedacht ging der Mann mit den schwarzen schulterlangen Haaren und den silbernen Augen auf das Dorf zu, welches von einem kleinen Wall umgeben war. Seine schwarze Robe sorgte dafür, dass er mit der Nacht verschmolz. Man würde sein Kommen erst spät bemerken, zu spät.
„Dunkelbringer!", gellte ein Schrei durch die Nacht und es folgte der ohrenbetäubende Lärm von Glocken, die wild und unregelmäßig geschlagen wurden.
Ohne jegliche Vorbereitung zeichneten sich zahlreiche rot glühende Punkte rund um den Wall des Dorfes ab und gewannen rapide an Größe. Schreie und der süße Duft der Angst drangen aus dem Inneren des Dorfes.
Plötzlicher Wind kam auf und wirbelte die Robe des Dunkelbringers wild hin und her. Unbeirrt erhob dieser die Hände, als wollte er etwas in seine Arme schließen. Das blasse Gesicht verkrampfte sich vor Anstrengung und ein silberner Schleier legte sich rund um das Dorf. Voller Verzweiflung stürmten mehrere Dorfbewohner auf das Tor des Walles zu, um dann wütend feststellen zu müssen, dass eine fremde Macht das Tor geschlossen hielt. In Todesangst zerschlugen sie ihr eigenes Holztor mit Äxten und Werkzeugen so weit, bis sie auf das leuchtende Silber trafen. Doch hier halfen weder Äxte, noch Forken. Jeder Kraftakt prallte sofort von dem Schleier ab und versetzte die Bewohner in noch größere Panik. Ein Kind, das in die Meute geraten war, wurde von einem Axtstiel getroffen, bevor es ganz in der Menge unterging.
Nun drang eine eisige Stimme in die Köpfe der Bewohner ein und zwang sie zu hören:
„Möge eure Asche den Phönix des Königs gebären!"
Mit diesen Worten schwebten die roten Punkte durch den Schleier in die Dorfmitte und entluden sich in einer gigantischen Feuersbrunst. Außer dem grellen Licht und der enormen Hitze gelang es nicht einer Flamme, den Schleier nach außen zu durchdringen. Wenige Sekunden später war es still. Der Schleier und das Feuer waren verschwunden. Nichts ließ mehr darauf schließen, dass dort, wo nun ein riesiges Aschefeld mit vereinzelten Ruinen glühte, einst ein einfaches Dorf gestanden hatte.
Er lächelte und verschwand in der Finsternis.

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Die Sonne erhob sich eben über die dichten Baumkronen und schickte ihre goldenen Strahlen über die Welt. Auf dem mit Moos bedeckten Waldboden zauberten sie ein Schattenspiel, das Faith begeistert musterte. Er saß auf einem umgefallenen Baumstamm und aß gerade von seinen Vorräten, die er auf den kleinen Ausflug in die Berge von seiner Mutter mitbekommen hatte. Ein sanfter Windstoß fuhr durch die Bäume und ließ die Blätter rascheln.
Faith lächelte und biss ein großes Stück von dem Kuchen ab.
Bald würde er nach Hause zurück kehren müssen, um seiner Mutter die Kräuter bringen zu können, für die sie ihn hierher geschickt hatte. Sie selbst hatte nicht gehen können, da sie auf seine kleine Schwester aufpassen musste. Faiths Vater musste in der Bäckerei arbeiten, also blieb nur noch der einzige Sohn der Familie, um diese Aufgabe zu übernehmen.
Faith machte das nichts aus. Er liebte die Natur und war nur zu bereitwillig gewesen, diese Aufgabe zu erfüllen.
Nach ein paar Minuten packte er die verbliebenen Sachen in das Tuch zurück und erhob sich. Die Kräuter hatte er in einen Weidenkorb verstaut, den er behutsam vom Boden aufhob.
"Dann mal los", sagte er zu sich selbst und machte sich auf den Weg zurück in sein Dorf. Der Rückweg dauerte bis in den frühen Nachmittag hinein. Faith musste durch den scheinbar endlosen Wald wandern, über sanfte Hügel und felsige Abhänge, die er vorsichtig hinabstieg. Immerhin wollte er nicht umsonst den ganzen weiten Weg zurückgelegt haben, wenn er dann am Ende auch noch die ganzen Kräuter verlor, nur weil er so unvorsichtig gewesen war. Seiner Mutter würde das sicher auch nicht gefallen.
Aber dann war er doch heil auf dem hohen Hügel angekommen und blickte lächelnd nach unten, wo sein Dorf lag.
Oder gelegen hatte.
Das Lächeln gefror auf seinen Lippen und er ließ den Weidenkorb neben sich auf den Boden fallen. Sein ganzer Körper fühlte sich mit einem Mal vollkommen leblos an und eine eisige Kälte ergriff von seinen Gedanken Besitz. Er konnte nicht mehr klar denken.
Unter ihm breitete sich statt der kleinen Lehmhäuser mit den Strohdächern nur eine einzige Wüste aus Asche aus. Hier und da waren noch Pfeiler von einstigen Häusern zu erkennen, doch die wurden von den Aschebergen überschüttet.
Ein ungläubiges Keuchen entfloh seinen Lippen und er musste sich eine Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut aufzuschreien. Qualvoll rang er nach Atem und er spürte, wie seine Knie unter ihm nachzugeben drohten.
Ein lauter Schrei ließ ihn heftig zusammenzucken und er fuhr herum. Über ihm kreiste ein Adler hin und her. Sein Herzschlag beruhigte sich einigermaßen, bevor er den Mut aufbringen konnte und - nachdem er den Korb wieder aufgehoben hatte - den Hügel hinunterstolpern konnte.
Mit jedem Schritt, den er tat, wurde ihm das Herz schwerer, aber er konnte jetzt nicht mehr umkehren.
Er musste Gewissheit haben, obwohl alles in ihm sich dagegen sträubte. Kurz vor der Stelle, wo einst das robuste Tor gewesen war, das Einlass in sein Dorf gewährt hatte, war nur noch Asche. Keine dicken Holzstämme waren mehr da, die das Dorf und seine Menschen vor heftigen Stürmen, Angriffen oder wilden Tieren bewahrt hatten.
Faith atmete tief durch und musste husten, als seine Lungen sich voll Staub füllten. Als er seinen Atem wieder unter Kontrolle hatte, richtete er sich auf und ließ den Blick über die Ruinen schweifen.
Wie war das geschehen? Wie hatte ein ganzes Dorf - sein Dorf - bis auf die Grundmauern niederbrennen können? Es waren keinerlei Anzeichen auf einen Angriff zu sehen. Gab es denn keine Überlebenden? Aber den Ausmaßen der Zerstörung nach zu urteilen, hatte kein Mensch überlebt.
Letztendlich schluchzte er verzweifelt auf und ließ sich auf die Knie fallen. Heiße Tränen rannen ihm die blassen Wangen hinab und er hatte Mühe, nach Luft zu schnappen. Sein ganzer Körper bebte, während er um seine Familie, seine Freunde und all die unschuldigen Menschen trauerte, die Opfer des Schicksal geworden waren.
Aber wer genau war dafür verantwortlich?
Das war die einzige Frage, die ihn davon abhielt, völlig verrückt zu werden vor Schmerz.
Faith wusste nicht, wie lange er dort gekniet und geweint hatte, aber als er sich aufrappelte, stand die Sonne bereits am Horizont. Es würde bald Abend werden und er brauchte einen geschützen Unterschlupf für die Nacht.
Steif und unbeholfen ging er in Richtung Wald und bevor er zwischen den hohen Bäumen verschwand, blieb er ein letztes Mal stehen und blickte auf seine Heimat zurück, die nun nicht mehr war.
"Ich werde herausfinden, wer oder was dafür verantworlich ist und sie zur Rechenschafft ziehen. Ich werde euch rächen", versprach er.
Dann wandter sich ab und ging langsam zurück in den Wald, dessen lange Schatten ihn bald umarmen und ihren Schutz ziehen würden.

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