Der Schwester - wegen des Artikels so nicht ansprechbar, als Pfleger betitelt - klopft auf dem Kissen herum, als wenn er mit der Oberschwester noch eine Rechnung zu begleichen hätte.
"Junger Mann", sagt Martha ruhig; schließlich hat sie Erfahrung mit 4 eigenen Kindern sammeln dürfen. "Sie sollen mein Kissen nicht erschlagen, sondern ausschütteln.
"Hörn se einfach nich hin", mault Heinz, der von den brutalen Schlägen aufgeweckt, erst jetzt die Augen öffnet. Zuerst hatte er geglaubt, dass...
...er wieder auf dem Sessel im Wohnzimmer eingeschlafen war. Doch die Wahrheit sah anders aus. Roch anders. Der typische Geruch von Desinfektionsmittel und Krankheit, der jedem Krankenhaus innewohnt, holte ihn in die Realität zurück.
Der junge Pfleger sah mürrisch von einem zum anderen und schüttelte unbeirrt seine Kissen weiter.
Martha resignierte und beachtete den Pfleger nicht weiter, was Heinz wiederum äußerst interessant fand. Sollte seine Martha im Herbst ihres Daseins tatsächlich noch vernünftig werden und mit dem ewigen Zetern aufgehört haben?
"Heinz! Jetzt sag du doch auch mal was dazu.!"
"Ja, Martha." Alter Mann, wovon träumst du eigentlich nachts? dachte er. Das werde ich Martha auch gerade noch sagen. Das Lachen kam spontan und fröhlich.
"Drehst du jetzt auch noch durch?"
"Nein Martha. Ich hab nur gerade darüber nachgedacht, wann wir das letzte Mal Sex hatten?" Nun lachte der Pfleger, nachdem er vor lauter Verblüffung das Kissen hatte fallen lassen.
"Wann wir...?" Martha starrte erst Heinz, danach den Pfleger an: "Raus mit Ihnen!"
"Jawohl, Gnädige Frau", freute sich der junge Mann. Soviel Spaß hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Heute würde er der Hit in der Pause sein.
"Und nun zu uns beiden. Deine dämlichen Anzüglichkeiten kannst du dir ersparen oder nicht. Wenn du dir damit stark vorkommst, von mir aus. Aber nicht vor anderen. Und jetzt kannst du gehen."
"Na prima. Das wollte ich eigentlich vor Jahren schon. Danke dafür, dass du mich endlich freigibst"; stand auf, verließ das Zimmer und ließ eine sehr erschrockene Martha zurück.
Nun ja. Sie wusste sowieso nicht, warum er jeden Tag so viele Stunden bei ihr saß. Hatte er in den letzten 45 Jahren nicht gemacht, braucht er jetzt auch nicht mehr mit anfangen. Wieso war sie also so überrascht, dass er jetzt ging? Und was sollte diese Frage nach dem Sex? Martha schüttelte den Kopf. Sie musste zugeben: Heinz langweilte sie. Hatte sie in den letzten Jahren gelangweilt...sicherlich beruhte dies auf Gegenseitigkeit.
Wieso also kam er ins Krankenhaus?
Das war's, dachte Heinz und wusste nun, dass er eigentlich nur ins Krankenhaus gegangen war, um sich von Martha zu verabschieden.
Sie wird alleine klar kommen, beruhigte er sich und schob endgültig den letzten Rest an Verantwortungsbewusstsein für Martha beiseite. Ihr Fuß war so gut wie verheilt, ansonsten war Martha topfit. Und da Martha in der Zeit ihres gemeinsamen Lebens ein höheres Gehalt als er gezahlt bekommen hatte, würde sie auch weiß Gott nicht am Hungertuch nagen müssen. Und weil das Haus sowieso ihr gehörte, bräuchte sie auch nicht eine neue Bleibe suchen müssen.
Im Gegensatz zu mir, dachte Heinz und machte sich auf den Weg nach Hause, das er spätestens in zwei Tagen verlassen wollte. In drei Tagen sollte Martha aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Was, zum Donner, packt man von seinem vergangenen Leben in einen Rucksack und höchstens zwei Taschen auf ein Fahrrad, um damit ein neues Leben zu beginnen? Er entschied: Als erstes bringe ich das Rad auf Vordermann und verstaue etwas von meinem Werkzeug in eine der Satteltaschen.