Eine leere Flasche billig Bier steht hier, Holsten, direkt vor der Tür der Spielerkabinen und eine am Pfosten. Es nieselt, November. Die Fahrradständer rosten. Krähen krächzen auf dem Spielplatz im Park gleich nebenan, und ein gelbes Blatt weht über den Platz herab und bleibt in der Pfütze vor’m Tor liegen. Um acht Uhr am Sonntag morgen. Vorletzten Sonntag fiel das Spiel aus wegen Unbespielbarkeit des Platzes. Oder wegen Unberechenbarkeit des Platzwartes, dessen Onkel an dem Sonntag in Pakistan starb. Heute ist der Platz bespielbar, beschließt der Platzwart, der Ayub Abbasi heißt und jetzt erstmal Kaffee kochen muß, weil seine Frau das nicht mehr macht. „Ayub“, hat sie gesagt, „kümmer dich selber um das.“ In dem kleinen Platzwart-Raum kann Ayub zwei Schritte geradeaus machen und zwei Schritte zur Seite. In dem kleinen Platzwart-Raum stehen eine Liege für verletzte Fußballer, ein Stuhl, ein Schrank, ein Tisch. Auf dem Tisch stehen eine Kaffeemaschine, zwei Thermoskannen und ein Radio, auf der Fensterbank eine unbestimmbare Pflanze, die sein Vorgänger hier hinterließ, eine Pflanze, die niemand gießt. Auf der Liege schläft Ayub unter drei Wolldecken-für-den-Notfall.
Aus dem Schrank holt Ayub jetzt Kaffeefilter und Kaffeepulver, setzt Kaffee auf und frühstückt aus dem Großmarkt-Karton einen Schokoriegel, ein Lion. Das Radio dudelt Schlager „Sonntag morgen schnappte mich der Scheriff… viel zu spät – wie so oft im Leben – viel zu spät hab’ ich es bereut!“ und dudelt dann das Wetter. Es wird Regen geben; sieht Ayub selber. Ayub ist traurig und nimmt noch einen zweiten Schokoriegel. Twix heißt auf urdu Freude. Wenn Ayub vor die Tür tritt, kann er auf der anderen Seite des Platzes die Fenster seines Zuhauses sehen, wo jetzt nur noch seine Frau zuhause ist. Ayub macht die Tür wieder zu, das Radio wieder aus und legt sich nochmal hin bevor der Tag beginnt.
Ein alter Mann, den man schon vor zwanzig Jahren für hundert hielt, humpelt über den Grandplatz und hebt die leeren Flaschen auf, acht Cent Pfand.
Der alte Mann hat eine schmutzige Jeans und eine speckige-fleckige Lederjacke an und keinen Zahn mehr im Mund, die Haare weißgrau kurz gelockt. Tagsüber wühlt der alte Mann in den Mülleimern der Stadt auf der Suche nach was und fährt mit dem Rad in Blankenese auf und ab auf der Suche nach seiner Familie, die ihn nicht kennt. Der alte Mann hat einen alten Hund, Asorka, den er manchmal auf dem Fußballplatz angeleint vergißt, wenn er den Platz kreidet aus alter Gewohnheit. Früher war der alte Mann der Platzwart hier. Und die Linien zieht er immer noch, für zehn Euro. Der alte Mann wird Gento genannt, eine spanische Fußballlegende mit Ausdauer aber ohne Talent. Gento humpelt über den Grandplatz und hebt die leeren Flaschen auf, acht Cent Pfand. Seine Kreidung ist nicht überall gerade gezogen, aber wen soll das schon stören, die alten Herren spielen ohnehin ohne Linienrichter, weiß Gento Bescheid und denkt an seinen Enkel, der ihn nicht kennt, der spielt Bundesliga. Gento hat sogar ein Trikot von der Mannschaft für die sein Enkel spielt. Das Trikot hängt neben der Wohnungstür an einem hölzernen Kleiderhaken, als einziges Kleidungsstück, das säuberlich aufgehängt ist. Wenn Gento Besuch bekäme, würde jeder auf jeden Fall sofort das Trikot bemerken. Gento kriegt aber keinen Besuch. Alte Zeitschriften und Zeitungen türmen sich meterhoch an der Wand entlang vom Flur ins Wohnzimmer durchs Schlafzimmer, in dem auf der staubigen Fensterbank zehn staubige Kakteen stehn. Auf dem Balkon quillt Leergut im Wert von fünfzig Euro aus etlichen Platiktüten, und der Mülleimer in der Küche wird von niemanden geleert. Das Kaffeepulver auf dem Küchenboden leckt Asorka auf, wenn er nicht auf Gentos altem Bett schläft und haart oder angeleint auf dem Fussballplatz vergessen steht und haart.