Pantherfrau
Mit schnellen Bewegungen huschte die Gestalt über den nächtlichen Friedhof. Der Mann schien die Totenstille nicht zu stören, denn keiner der Toten erhob Einspruch, als sein Schatten auf die mondbeschienenen Gräber fiel. Je weiter der Mann in den Friedhof eindrang, desto langsamer wurde er.
Als er an einem bestimmten Punkt angekommen war, sah er sich um. Anscheinend suchte er etwas, oder er erwartete jemanden.
Es dauerte nicht lange und tatsächlich gesellte sich eine weitere Person dazu.
Genauer gesagt war es eine Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren, die sich leicht gehetzt umsah, als sie ihn etwas atemlos begrüßte: „Ich dachte schon, du hast es nicht mehr geschafft!“ – „Beinahe hätten sie mich auch erwischt, es war knapp. Carter hat mir den Rücken freigehalten, ich hoffe, sie haben ihn nicht.... aufgehalten.“ Aber Carter war ein guter Bulle, und er war überzeugt, dass sein Kollege es auch diesmal geschafft hatte.
„Wohin jetzt?“ fragte er seine Begleiterin, als diese loslief. "Wir werden MJs Gruft besuchen." "Okay."
Der Mann und die Frau kamen in den Bereich des Friedhofs, in dem die pompös ausgestatteten Gruften lagen, traten vor eine und stießen die Tür auf. Drinnen schoben sie einen Sargdeckel mit erstaunlicher Leichtigkeit zur Seite und stiegen in den Sarg, der auch erstaunlicherweise tiefer war, als er aussah. Nach einigem Klettern, einigen Schritten und einer weiteren Tür, die sie öffneten, waren sie im HQ der VCBL, dem Hauptquartier der Vampire Cops B. L.. Modernste Technik blinkte ihnen entgegen und Tjörnste begrüßte sie mit einem zünftigen „Es grüne die Tanne, es wachse das Erz, Gott schenke uns allen.... verfluchte Scheiße! Diese Mistkiste macht mich noch waaahnsinnig!!!“
Tjörnste war ein klein wenig ungeduldig, vor allem, wenn er vor dem Computer saß und dieser nicht das tat, was er wollte – das kam allerdings öfter vor. Und um ihn davon abzuhalten, die „Mistkiste“ aus der Gruft zu werfen, begrüßten die zwei Neuankömmlinge ihn erst mal nett:
"Tjörnste altes Haus, wie sieht es aus? Irgendwelche neuen Fälle in dieser Höllenstadt? Oder können wir uns in Ruhe ein Harzer Grubenlicht einschenken?"
Die beiden lachten, nur Tjörnste nicht: "Wo ist Carter?"
"Er hat uns den Rücken freigehalten und müsste gleich da sein." "Müsste!!! Ihr lasst ihn da draußen alleine? Ihr wisst genau, dass keiner von euch je allein sein soll! Die Gefahren dort draußen sind einfach zu krass, um ohne Begleitung spazieren zu gehen!" - „Nun,“ antwortete sein Kollege, „erstens geht er nicht spazieren, sondern ist vermutlich auf dem Weg hierher in der Grünen Tanne eingekehrt und haut sich ein bis zwei Grubenlichter und `n Harzer Roller in`n Kopp, oder er besucht sein Waldelfen-Schätzchen... langer Rede, gar kein Sinn: ihm geht`s gut, davon bin ich überzeugt!“
Tjörnste starrte ihn an, als ob er ihm gleich was abreißen wollte, und meinte: „Soso, also alles klar, hä? Von der Höhlengnom-Gang, die die Gegend unsicher macht, und den meuternden Bergtrollen habt ihr nix gehört, hä? Also, wir gehen jetzt los, und zwar bewaffnet, und dann suchen wir Carter, weil es gut möglich ist, dass er grad am Spieß gebraten wird!!!! Hopphopp!“
Also machte Cop Schnürschuh den Waffenschrank auf und wählte ein Massive Attack Set aus, das die diversesten Monster und andere Gelichter-Eliminier-Artikel enthielt. Pech hätten sie vermutlich nur, wenn ein Trupp marodisierender Zwerge auftauchte; aber diese massierten sich eher um Walkenried herum, einem weiteren Schmelztiegel höllenabstammender Monstrositäten.
"Was ist, Schnürschuh? Eingeschlafen?" feixte Silvetta. "Nein," er fuhr herum: "ich konnte nur nicht umhin, diese chromblitzenden Deluxe-Hightech Waffen zu bewundern." - "Ha! Wir werden ihnen den Garaus machen!!!"
Silvetta war bereit; Schnürschuh auch. Wahrscheinlich würden sie Carter irgendwo mit einem rehäugigen Etwas beim Jodeln erwischen, aber wenn nicht, wenn tatsächlich etwas mit Carter war... MJ würde ihnen die Arme aus den Gelenken reißen, wenn sie ihn da nicht raus kriegten!
Sie machten sich auf den Weg, nicht ohne die Karte der TFH, der tiefsten finstersten Harzhöhlen, die ihnen bisher immer gute Dienste geleistet hatte, mitzunehmen.
Als sie aus der Gruft gestiegen waren und zum Friedhofstor hinaus auf die Straße kamen, erwartete sie eine fiese Überraschung: die ekelhafteste Gang der Gegend hatte sich ausgerechnet den Platz vor dem Friedhof ausgesucht, um ihre Zusammenkunft abzuhalten. Der Gestank von Paderborner Schädelbier, zu vielen Zigaretten und Dönerfürzen schlug ihnen entgegen. „Oh Scheiße, auch das noch...“ knirschte Schnürschuh, der schon einige Erfahrungen mit den Parkplatzpennern gemacht hatte. „Die Minimal-Gang!“
Silvetta kotzte fast, dann atmete sie tief durch:" Wir sollten ihnen tüchtig in den Arsch treten!" "Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir auch einfach den Hinterausgang nehmen..." "...denn da ist Carter sicher, wo er doch vorhin hinter uns war!" entgegnete Silvetta mit triefendem Hohn in der Stimme.
Plötzlich hörten sie Schritte hinter sich. Blitzschnell drehten sie sich um und da war doch tatsächlich einer aus dem heimelijen Kreise der Gang ausgeschert und – vermutlich weil er pissen musste wie eine afghanische Bergziege – für Silvetta und Schnürschuh unsichtbar hinter einer Gruppe Fichten hervorgekommen. Als ob das nicht schlimm genug gewesen wäre, begann er, nachdem er einige Minuten nachgedacht hatte, ob der Aufwand einer Bemerkung sich lohnen könnte (Neandertalergehirne arbeiten langsam!), richtich schön proletisch rumzupöbeln, wobei er grenzdebil sabbernd grinste.
Silvetta, sich des Ernstes der Lage bewusst werdend, und die Rettung Carters im Hinterkopfe habend, holte ihr Neuner-Eisen mit Distilsa raus und mähte den ekligen Typen nieder. "Jetzt nichts wie weg," stieß sie heraus, riß an Schnürschuh und gemeinsam verließen sie den grausigen Ort des Geschehens. Die Minimal-Gang war einfach zu dumm, um ihnen zu folgen und irgendwie war ihnen ihr Kumpel auch völlig egal. Wie se so sind.
Bald ließen sie den heimeligen Friedhof hinter sich und mungelten durch die Dunkelheit bis zu dem Wald von dem aus Carter gestartet war. Es dauerte nicht lange, und sie fanden hinter einer Fichte seine angefressene Leiche. "Verdammt," stieß Schnürschuh aus! Üble Höhlengnome also, oder war es Carters letzte und jetzt sehr wütende Werwolf-Schnalle gewesen? Wahrscheinlich hatten sie im HQ sowieso nur die Minimal-Gang mit Höhlengnomen verwechselt. Schnürschuh zermarterte sich den Kopf, als Silvetta ihn anstieß: "Da ist etwas. Ein Schatten schleicht um uns herum", flüsterte sie mit gedämpfter Stimme. Schnürschuh wurde wachsam. Mit angespannten Sinnen scannte er den finsteren Wald.
Silvetta hatte derweil den Monsteranzeiger rausgeholt und sein grünes Licht beleuchtete ihr Gesicht. "Es muss ein großer Tier sein." Schnürschuh fing an leise zu kichern:" Kichichich; wahrscheinlich der schwarze Panther, der ab und an im Harz auftaucht. Ich war mal als Knabe auf Klassenfahrt in Andreasberg und da sollte auch einer unterwegs gewesen sein. Wir strichen sogar unsere Gruselnachtwanderung desw...!“ - "Still Schnürschuh! Verdammt. Was auch immer es ist...wahrscheinlich hat es Carter niedergestreckt."
Ein Knurren drang aus unbestimmter Richtung zu ihnen.
Sie stellten sich Rücken an Rücken mit gezogenen Monsterabwehrpanzerfäusten neben Carters Überreste und drehten sich langsam in alle Richtungen im Kreis, um zu ergründen, who the fuck da eigentlich um sie rumzuschleichen wagte. Plötzlich kiekste Silvetta von Grausen gepackt: „Da! Da! Scheiße!“ – als Schnürschuh blickte, wohin seine angstschlotternde Kollegin mit zitternd ausgestreckter Monsterabwehrpanzerfaust deutete, wollten ihm schier die Augäpfel aus den Höhlen treten: eine Supraschnitte in äußerst knappem Aufzug kam anmutig tänzelnd hinter einem Gebüsch hervor!
Doch bevor er seine Monsterabwehrfaust hin und sich selbst sabbernd der Schnallerina zu Füßen werfen konnte, wurde er von der irgendwas zwischen säuerlich und misstrauisch blickenden Silvetta gerade noch am Ärmel zurückgezerrt und husch! Hinter einen Baum. „Ey, was soll das denn jetze! Lass mich doch die nette junge Dame begrüßen, die hier ganz alleene mitten inner Nacht – wurks!“ pöbelte Schnürschuh, bis Silvetta ihm kurzentschlossen ein bisschen die Luft abdrückte.
„Pass ma uff, du Hanswurstcasanova! Bevor du mit deinen gierigen Blicken diese nette junge Dame da erhascht hast, hab ich an eben der Stelle ein riesenhaftes Raubtier sich genüsslich den Bart putzen sehen – und was glaubst du, was es für eine Mahlzeit hatte?! Vielleicht benutzt du statt deiner Kronjuwelen mal die Augen zum sehen?! Hä?!“ Sie überließ seine Luftzufuhr wieder eigener Kontrolle, und nachdem sich Schnürschuh nach einijem Husten und Geröchel wieder beruhigt hatte, pöbelte er los: „Du blöde Frutte!" aber dann besann er sich und sah sich beunruhigt um.
"Na ja, vielleicht hast du ja doch..." "Psch."
In einer einzigen geschmeidigen Bewegung zückte Silvetta ihren Taschen-Flammenwerfer und ließ den Atem des Drachen frei!
In Sekundenschnelle loderten die trockenen Fichten in hellem Feuer. Schnürschuh riß die Arme geblendet vor sein Gesicht und Silvetta drehte sich um und gab Fersengeld. Ob sie das Raubtier erwischt hatte, stand in den Sternen.
Als Schnürschuh endlich die zwei Meilen weiter (sie hatte die Monsterfluchtraketen in den Absätzen ihrer Spezialfluchtstiefel aktiviert), null außer Atem, und lässich an einem Baum lehnende Silvetta erreichte, keuchte er sie an: „Du blöde Trutsche! Sach das nächste Mal Bescheid, bevor du den Wald dezimierst! Mannmannmann, wieso halt ich das nur mit dir aus!“ Er verstummte und machte ein sehr angefressenes Gesicht, als er kombinieren musste, was er für ein Blödmann gewesen war, weil Silvetta lässich und null außer Atem (wie er jetzt endlich schnallerte) den Staub von ihren noch glühenden Monsterfluchtraketenabsätzen hauchte. Auf sein zerknirschtes Grinsen sachte sie nur: „So, Kamerad, jetzt los hopphopp ins Hauptquartier! Wir müssen Infos aus der Liste der üblichen Verdächtigen und dem Archiv der Harzgeisterpost suchen, um dieser „Superschnitte“ begegnen zu können!“
Und weil die Harzgeisterpost auf dem Weg zum Hauptquartier lag, wollten sie zuerst dort die notwendigen Untersuchungen beginnen. Nach mehrstundigem Marsch durch tiefverschneite Wälder erreichten sie das Tor zur Post (welches übrigens selbst für Ortskundige schwer zu finden ist, weil es hinter drei gleichzeitig umgestürzten Lärchen verborgen liegt, die sich bei ihrem Fall derartig ineinander verkeilt haben, dass sie auf gar zauberhafte Weise den Blick eines jeden Betrachters von ebenjenem abzulenken vermochten, und das mit geisterhafter Gewissheit). Doch der ihnen öffnende Geisterposttorwächter musste die enttäuschende Mitteilung machen, er sei der einzige zur Zeit anwesende Postbeamtengeist, alle anderen Geister seien zur Harz Mountains Ranch ausgeflogen, um dort den Harzer Grubengeist zu treffen, der gar Wichtiges zu offenbaren hatte. Auch der für das Postarchiv zuständige Archivgeist sei jetzt dort zu finden, und ohne diesen sei es unmöglich, in dem Archiv irgendetwas zu finden, ferner ziehe man bei unautorisierter Suche seinen Zorn auf sich, auch sei dem Wächter nicht gestattet, irgendjemanden eintreten zu lassen.
Schnürschuh knallte ihm etwas an den Kopf, und er und Silvetta stiegen ins Postarchiv.