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Kommissar Schneider trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der marmornen Tischplatte, seinen Blick auf das leblose Handy vor sich gerichtet.
Wie lange schweigst du noch, teuflische Apparatur?
Wann kam endlich der Anruf von seinem Chef?
Hans Glück war ein verdammter Idiot. Ein selbstsüchtiger, tollpatschiger Idiot, der keine Ahnung von modernen Ermittlungsmethoden besaß. Aber immer erntete er die Lorbeeren, wenn Schneider einen Durchbruch erzielte.
Hatte er nicht legendäre Fälle gelöst?
Die Verhaftung des großen bösen Wolfs nach dem Mord an der Großmutter?
Beinahe hatte das blutgierige Untier auch noch Rotkäppchen verschlungen, aber Schneider war rechtzeitig eingeschritten. Mord und Mordversuch - das hieß mindestens zwanzig Jahre Zuchthaus in einer Zelle mit den sieben Geißlein, der berüchtigsten Mörderbande im ganzen Märchenland.
Und was war mit dem Fall Rapunzel?
Wem gelang es den größten Hostessenservice zwischen Hexe Ursulas Knusperhäuschen und König Drosselbarts Friseursalon auszuheben?
Natürlich dem tapferen Schneiderlein! Während Hans-im-Glück selbstverliebte Pressekonferenzen abhielt, packte er das Problem an der (Haar)Wurzel und wurde beinahe von dem langhaarigen Miststück mit ihren blonden Locken erdrosselt. Aber so schnell biß ein Schneider nicht ins Gras: Die mörderische Braut saß mittlerweile im Knast, mit Kurzhaarschnitt und der größenwahnsinnigen Herzkönigin als Zellengenossin.
Aber jetzt das: Irgendeine dahergelaufene „Gretel“ mischt sich in seine kriminalpolizeiliche Arbeit ein!
Als das Handy um Aufmerksamkeit heischend eine Melodie anstimmte, rollte Schneider mit den Augen. Dann, nach einigen trotzigen Sekunden, griff er danach: „Ja? Was gibt’s Chef? Habe ich den Job? Gut. Aber was?“
Schneider nahm das Handy vom Ohr und starrte es mit aufgerissenen Augen an. Davon unbeeindruckt, quatschte sein Vorgesetzter fröhlich weiter.
„Ich soll was?“, unterbrach er ihn lautstark. „Das ist doch nicht ihr Ernst!“
Bevor Schneider die Kontrolle verlor, klopfte es an der Tür.
„Herein!“, befahl er ungehalten, während ihm Hans Glück mit unbeirrbarer Fröhlichkeit weiter das Ohr abkaute.
Dieser Idiot läßt sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen!
Als Schneider das Handy zuklappte und der Tür zuwandte, blieb ihm der wilden Fluch im Halse stecken.
Schneewittchen schneite herein, einer funkelnden Eisblume gleich. Auf ihrer kristallenen Haut brach sich das Licht. Die blassen Lippen zu einem schmalen Lächeln geformt, nahm sie Platz.
Schneider blinzelte mehrmals, um sich zu fassen.

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Er schnappte nach Luft, um etwas zu sagen, aber schon war Schneewittchen flink heran getrippelt und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
"Hallo mein Süßer!", zwitscherte sie Schneider ins Ohr.
Der fand auch endlich seine Stimme wieder und polterte los: "Verdammt, Witti! Du sollst mich doch nicht hier aufsuchen! Wenn uns meine Frau erwischt gibts ewigen Winter!"
Schneewittchen wusste natürlich, wie rasend Frau Holle werden konnte, wenn eine andere Frau ihrem Ehemann zu nahe trat. Die arme Goldmarie zum Beispiel wurde nie wieder gesehen, nachdem sie dem tapferen Schneiderlein auf dem Betriebsausflug der MLP (Märchenland-Polizei) zweideutig zuzwinkerte. Doch war Schneewitchen eben auch mit mehr Oberweite als Hirn gesegnet und deswegen dachte sie oft nicht an die Konsequenzen ihres Handelns.
"Ach komm schon, mein Schneiderlein! Ich will doch nur ein bißchen Kuscheln.", versuchte sie ihren Liebhaber zu beruhigen. "Die sieben Zwerge sind zum Fußballspiel im Südwald. Wahrscheinlich prügeln sie sich wieder mit den anderen Hooligans und kommen erst in zwei Tagen aus der Ausnüchterungszelle. Ich fühl mich so allein im Wald!"
Während sie das sagte, strich sie sanft über Schneiders Brust. Er schloss die Augen. Er genoss Schneewittchens Zärtlichkeiten. Frau Holle war immer so eisig und zeigte ihm schon seit Monaten die kalte Schulter. Schneider konnte sich kaum noch daran erinnern, warum er sie eigentlich geheiratet hatte. Dann fiel ihm der Anruf seines Chefs ein. Ein Mord! Er musste schnell zum Tatort. Er nahm Schneewittchens Hand sanft aber bestimmt und drückte sie von sich weg.
"Es tut mir leid, Liebes. Ich muss weg. Dienstlich."
Er nahm seinen Hut vom Tisch und stand auf.
"Ich komme dich heute Nacht im Wald besuchen. Mache alle sieben Bettchen, wir werden sie brauchen!"
Während Schneider aus der Tür hastete klingelte erneut sein Handy. "Gretel" erschien auf dem Display. Schneider verdrehte die Augen und schaltete das Handy aus. Die hatte ihm gerade noch gefehlt.

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