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Das Messer knallt scheppernd auf die Küchenfliesen, springt noch einmal in die Höhe und gibt endlich Ruhe. Verdutzt starrt Leon unter den Tisch. "Blödes Ding, komm sofort wieder her!" Er bückt sich tief hinunter, ohne vom Stuhl aufzustehen und kippt deshalb beinahe um.
Ich muss sie schon einmal gesehen haben. Ein dermaßen klares Bild im Traum hat einen realen Hintergrund. Aber wo und wann? überlegt er noch unterm Tisch, als es ihm plötzlich einfällt. Sein Kopf ruckt hoch.
"Aua!Verdammt." Nicht gesehen, aber über dich gelesen, denkt er, sauer auf die Tischplatte. Mit übertriebener Kraft rammt er das eroberte Messer in den Brotlaib und schiebt sein Frühstücksbrett von sich. Sein Kopf schmerzt; aber nicht so schlimm, dass er nicht in der Lage ist, seiner Erinnerung im Raum nebenan nachzugehen.
Im üblichen Chaos auf dem kleinen Couchtisch im Wohnzimmer findet er schnell die Tageszeitung des Vortags. Den Artikel mit dem Konterfei der Vermisten noch in der Hand, durchblättert er hastig die Seiten des Hamburger Abendblattes. Er sucht und findet Kommunales.
"Unternehmerinnentag: Hamburgs Unternehmerinnen ... bla bla bla" liest er leise und wandert mit dem rechten Zeigefinger weiter, ohne den Text im Detail zu lesen.
"Da bist du ja, meine Schöne", knurrt er, um dann laut weiterzulesen: "Leider fiel eine der angekündigten Rednerinnen aus. Frau Angelika Steffens, Herausgeberin der kritischen Wochenzeitung: 'Frauen an die Macht', hatte wegen Arbeitsüberlastung abgesagt, wie die Veranstalterin uns auf Nachfrage mitgeteilt hat."
Leon legt sich im Sessel zurück, auf den er sich beim Lesen hat fallen lassen und denkt erstaunt nach: Das fragwürdige Wochenblatt Angelika Steffens - er weiß aus dem Artikel über die vermisste Frau, dass sie es ist - kennt er nicht. 'Frauen an die Macht' wäre auch kaum ein Titel, der ihm gefallen würde. Dafür ist sein Frauenbild viel zu abstrus. Das ihm in der Nacht zuvor diese Frau intim nahe gekommen ist, obwohl er sie nie zuvor gesehen hat, hängt für ihn eindeutig mit dem Verschwinden der Dame zusammen.
Aber, was habe ich mit dieser Hübschen zu schaffen? grübelt Leon und hält noch einmal das Zeitungsbild vor sein Gesicht.
"Was, du Frau an der Macht, verbindet uns beide, dass ich quasi eine Vision von dir hatte?" Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch legt er die Zeitung aus der Hand.

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In der Davidwache auf der Reeperbahn staunen die Polizisten nicht schlecht, als Leon wie selbstverständlich an den Tresen tritt und um ein Gespräch mit einem leitenden Beamten bittet.
"Sie haben ja Nerven, hier einfach so hereinzuschneien", blafft ihn ein Baum von einem Mann in Uniform an.
"Wieso", antwortet Leon irritiert, "dies ist meines Wissens eine Polizeiwache mit Zutrittsrecht für jeden Hilfesuchenden."
"Ach, Sie suchen Hilfe? Ich glaube, Sie wenden sich da besser an die Anwaltskammer. Die kann Ihnen bestimmt eine gute Rechtsvertretung empfehlen."
Leon verstand kein Wort. Irgendetwas stimmte mit diesem Tag nicht.

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Warum sollte er sich um einen Anwalt bemühen? Niemand kannte ihn hier. Was erlaubte sich der Kerl, ihm einen solchen Ratschlag nahe zu legen.
"Na gut. Wenn Sie nicht wollen, kann ich ja gehen." Er zuckte mit den Schultern und wendete sich von den Polizisten ab, die ihn daraufhin ohne Ausnahme anstarrten.
"Ja super", lachte der Bulle, "gestern den Wahrsager geben und heute den Clown. Dass kann ich Ihnen versichern, sie sind bereits jetzt zu den Top-Zehn seltsamer Vögel auf dieser Wache aufgestiegen."
"Wieso das denn?" Leon schaute sich um, suchte die versteckten Kameras.
"Setzen Sie sich da hin und warten Sie. Es wird sich gleich jemand um Sie kümmern.

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Nun sitzt er seit beinahe eine halbe Stunde auf einer altersschwachen Holzbank und wartet auf einen jungen Mann, der ihn kurz zuvor gebeten hatte, noch einen Augenblick zu warten.
"Na men Süßn; was hasn verbrochn?" Die Frau neben ihm sieht wie eine gewöhnliche Hausfrau aus. Aber Leon weiß, dass viele der Schwalben auf St. Pauli tagsüber stinknormale Ehefrauen und Mütter sind.
"Nischt", antwortet er, dem Dialekt seiner Nachbarin angepasst. Die lacht kurz auf und beschäftigt sich alsbald wieder mit ihren eigenen Problemen.

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Leon hat sich in seine Gedanken so weit zurückgezogen, dass er den jungen Mann erst bemerkt, als dieser ihn freundlich anspricht: "Ich bin Kommissar Salzer. Herr Leon Kraft, das sind Sie? Richtig?"
"So ist es", bestätigt Leon, steht auf und reicht dem Polizisten die Hand. Der feste Händedruck des etwa gleichaltrigen Mannes gefällt ihm. Er mag es nicht, wenn ihm eine weiche nachgiebige Flosse in seine Hand gelegt wird.
"Gut. Kommen Sie. Gehen wir in mein Büro."
"Gerne", sagt Leon und folgt Salzer in einen mäßig großen Raum, dessen Einrichtung, bestehend aus zwei Schreibtischen, einem alten Stahlschrank, drei Regalen mit Hängeregistern und mehreren qualitativ unterschiedlichen Stühlen, eher bescheiden ist.
"Nehmen Sie doch bitte auf unserem Zeugenstuhl Platz", fordert Salzer grinsend seinen Gast auf und zeigt auf einen Holzstuhl mit Lederpolsterung.
"Dann ist das der Verdächtigenstuhl?" lacht Leon und zeigt auf einen schlichten Holzstuhl ohne Polsterung.
"So ist es." Salzers Minenspiel deutet an, dass es ernst wird.

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Nachdem Salzer gekonnt routiniert das technische Equipment in Form eines Mikrofons aufgestellt und eingeschaltet hat, richtet er seinen Blick auf Leon.
"Möchten Sie etwas trinken?"
"Nein danke."
"Rauchen kann ich Ihnen leider nicht gestatten. Ist mittlerweile verboten."
"Ich weiß", antwortet Leon. "Außerdem bin ich Nichtraucher."
"Wie schön für Sie", seufzt der Polizist. "Immer gewesen oder abgewöhnt?"
"Abgewöhnt."
"Und, wie ist es Ihnen dabei ergangen?"
"Beim abgewöhnen?" Salzer nickt.
"Beschissen. Aber dafür geht es mir jetzt umso besser."
"Wie schön für Sie", wiederholt Salzer und setzt sich endgültig seinem Zeugen gegenüber an den Schreibtisch.
"Und seit wann können Sie in die Zukunft sehen?"
Leons Herz setzt vor Schreck für ein zwei Takte aus. Erst dann spürt er den Hammer, den ihm dieser Polizist soeben an den Kopf gehauen hat.
"In die Zukunft sehen? Gar nicht." Was soll ich sonst noch dazu sagen, denkt er und beschließt, auf der Stelle aufzustehen und zu gehen.
"Wo wollen Sie hin?"
"Nach Hause."
"Sie bleiben!" Der barsche Ton des Polizisten zwingt Leon, sich auf den Stuhl zurückfallen zu lassen.
"Warum?" fragt er leise. "Was habe ich denn getan?"
"Sagen Sie's mir." Salzers freundliche Stimme ist zu Leons Erleichterung zurückgekehrt.
"Tut mir Leid Herr Kommissar. Ich verstehe kein Wort."
Und nach einer wohlüberlegten Pause ergänzt er: "Vielleicht sollten wir überhaupt einen anderen Ort aufsuchen. Ich fühle mich hier nicht mehr wohl."

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