„Das ist doch alles Hühnerkacke!“, krähte Elisa lautstark über das Stimmengewirr hinweg.
Wir wussten, dass sie doch keine Ruhe geben würde, bis sie uns allen ihre Meinung zu dem neuen Nachmittagskurs mitgeteilt hat, und so breitete sich innerhalb von Sekunden Schweigen im Speisesaal aus.
Leni, die neben mir saß, verdrehte die Augen. Ich musste ein Grinsen unterdrücken, während Elisas Stimme ungefragt, dafür aber umso lauter dozierte:
„Zuerst im letzten Jahr dieser Kurs „PC für Senioren“. Da hab´ ich mich damals schon gefragt, wozu das Ganze gut sein soll. Wahrscheinlich wollen sie uns mal wieder einreden, wie fit wir doch noch sind und wie gut wir am Tagesgeschehen teilnehmen können. So ein Quatsch, ich versuche seit Jahren, meinem Enkel Kevin beizubringen, mir ordentliche Briefe zu schreiben, und da soll ich lernen, wie er komische gedruckte Briefe zu schreiben. Gut, dachte ich, das ist zwar herzlos und unpersönlich, aber wenn ich dadurch angeblich zu den geistig regen Senioren zählen soll, mache ich es.“ Während sie Luft holte, deutete sie mit ihren perfekt manikürten Händen gegen die Decke. Man konnte deutlich sehen, dass sie sich wieder hatte die Altersflecken weg lasern lassen, was in mir eine Mischung aus Unverständnis und Mitleid weckte. Wie man nur so eitel, so wenig selbstbewusst sein kann… Das Mitleid erstarb allerdings innerhalb Sekunden, als sie weiterpolterte:
„Und jetzt kommen sie mit Internet! Nein, also wirklich, dagegen kann ich nur protestieren. Wenn Gott gewollt hätte, dass ich mich per Internet mit den Leuten unterhalte, dann hätte er nicht Papier und Füllhalter erfunden.“ Mit diesen Worten legte Elisa mit ihren perfekten Händen den Löffel neben die Schale mit Nachtisch, von dem sie nicht einen Happen gegessen hatte, erhob sich und verließ hoch erhobenen Hauptes den Speisesaal.
Leni, die neben mir saß, lächelte: „Ich freue mich auf den Kurs. Vielleicht kann ich mir dann viel leichter Bücher und Filme kaufen, und wenn ich keinen Platz mehr habe, kann man sie wieder verkaufen. Ich finde das praktisch, wenn man nur zwei Regale im Zimmer hat.“
Ich grinste. Leni hatte seit ihrem Umzug ins Wohnstift Rosenhöhe vor zwei Jahren am meisten nicht unter der Trennung von ihrem Haus oder ihrer Heimat gelitten, sondern weil sie keinen Platz mehr für ihre Bibliothek hatte. Die paar Bücher, die es hier zu leihen gab, hatte sie innerhalb von drei Monaten verschlungen, und ich hatte das Gefühl, dass sie Buchstaben einatmet. Kein normaler Mensch kann mehr als zwei dicke Romane am Tag lesen. Leni schon. Seit dem PC Kurs im letzten Dezember hatte sie eBooks für sich entdeckt, die sie sich von ihren Kindern aus dem Netz herunterladen ließ und die sie – weil sie die Buchstaben deutlich größer stellen und deswegen besser lesen konnte – noch schneller konsumierte als gedruckte Bücher.
Und so versammelten wir uns drei Stunden später im Computerraum.
Computerraum! Ich lächelte leise in mich hinein, als der PC langsam hochfuhr. Ein Körnchen Wahrheit war mit Sicherheit in Elisas Vortrag vorhin enthalten: natürlich diente diese Einrichtung ein bisschen der Augenwischerei. Eigentlich bestand kein wirkliches Interessen, neun über Achtizgjährigen in einem Altenheim die Funktionen des Internets nahezubringen. Klar, wir sollten nachher unseren Familien alle glücklich erzählen, wie modern hier alles ist. Ob wir es brauchen oder nicht. Für das Geld für die PCs hätten die Typen in der Verwaltung lieber weicheres Klopapier bestellen sollen für uns, das wäre bei uns „Senioren“ – meine Güte – sicher gut angekommen. Oder Öl für die Räder von Margas Rollator. Wäre ein ganzer Gang dankbar.
„Guten Morgen“, ein freundliches Lächeln weckte uns alle. Lukas, der Verlobte unserer Stationsleitung Vera, fing mit dem Kurs an. Sicherlich eine der guten Nachrichten des heutigen Tages.
Insgeheim waren wir nämlich alle in Lukas verliebt. Selbst Elisa schimpfte deutlich weniger in seiner Nähe; womöglich hatte sie sich auch speziell für ihn die Nägel maniküren lassen. Und als sie sich hinsetzte, rückte sie so unauffällig wie möglich ihr Hämorriden-Kissen unter ihr Hinterteil.
Leni, die auch in dem Kursraum mit den Komputern, ähm, Computern neben mir saß, klimperte mit den Augen in Lukas Richtung. Sie war extrem kurzsichtig, aber der Charme seiner Stimme reichte schon. Fesche Männer sind selten im Seniorenheim...